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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Täter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten hält.« Auffallend in der Argumentation des israelischen Gerichtshofs ist, daß die Vorstellung von dem in den Tiefen jedes Menschen verankerten Rechtsgefühls lediglich als ein Ersatz für die Vertrautheit mit dem Gesetz auftritt, daß also vorausgesetzt ist, daß das Gesetz nur ausspricht, was die Stimme des Gewissens jedem Menschen ohnehin sagt. Will man diese ganze Konstruktion sinngemäß auf den Fall Eichmann anwenden, so kann man nur zu dem Schluß kommen, daß Eichmann sich durchaus im Rahmen der hier geforderten Urteilsfähigkeit gehalten hat: er hat im Sinne der Regel gehandelt und die an ihn ergangenen Befehle auf ihre »offensichtliche« Rechtmäßigkeit, nämlich Regularität hin geprüft; auf sein »Rechtsgefühl« brauchte er sich nicht zu verlassen, da er nicht zu denen gehörte, die mit den Gesetzen des Landes nicht vertraut waren; das genaue Gegenteil war der Fall.
    Das andere Bein, auf dem der Vergleich hinkt, ist die übliche Praxis, den Einwand des Handelns auf höheren Befehl als Strafmilderungsgrund zuzulassen. Der Einwand des höheren Befehls, so heißt es in der Jerusalemer Urteilsfindung, kann nicht von der Verantwortlichkeit befreien, aber er »ermächtigt die Gerichte, solch einen Befehl als Strafmilderungsgrund in Erwägung zu ziehen«. In dem von mir erwähnten Fall der Niedermetzelung arabischer Einwohner des Dorfes Kfar Kassem wurden die Soldaten zwar unter Anklage auf Mord gestellt, dann aber auf Grund des Strafmilderungsgrundes zu verhältnismäßig geringfügigen Freiheitsstrafen verurteilt. Gewiß, hier handelte es sich um einen einzelnen Akt und nicht wie bei Eichmann um eine jahrelang ausgedehnte Tätigkeit, in der sich Verbrechen an Verbrechen reihte. Hätte man aber auf ihn die Bestimmungen für Handeln auf höheren Befehl im Sinne der israelischen Praxis angewandt, so hätte man schwerlich zum Aussprechen der Höchststrafe kommen können. Daß der »höhere Befehl«, selbst wenn seine Unrechtmäßigkeit augenscheinlich ist, das Funktionieren des »Rechtsgefühls« erheblich stören kann, gibt auch die israelische Rechtspraxis ohne weiteres zu.
    Dies ist nur ein Beispiel unter vielen, an dem man die offenbare Unzulänglichkeit des herrschenden Rechtssystems und der gängigen juristischen Begriffssprache angesichts der Tatbestände des staatlich organisierten Verwaltungsmassenmords aufzeigen und diskutieren kann. Sieht man genauer zu, so wird man unschwer feststellen, daß die Richter in all diesen Prozessen eigentlich nur auf Grund der ungeheuerlichen Tatbestände, also gewissermaßen frei urteilten, ohne Zuhilfenahme der Normen und rechtlich festgesetzten Maßstäbe, mit denen sie mehr oder minder überzeugend ihre Urteilsfindung dann zu begründen suchten. Dies war schon in Nürnberg evident, wo die Richter einerseits erklärten, daß das »Verbrechen gegen den Frieden« das schwerste der vor ihnen verhandelten Verbrechen sei, da es alle anderen Verbrechen in sich trage, dann aber die Todesstrafe nur gegen diejenigen aussprachen, die an dem neuen Verbrechen des Verwaltungsmassenmords beteiligt gewesen waren, also an einem angeblich weniger schweren Delikt als dem Friedensbruch. Es wäre in der Tat lohnend, diesen und ähnlichen Inkonsequenzen auf einem so auf Konsequenz versessenen Gebiet wie der Rechtsprechung nachzugehen was hier natürlich nicht geschehen kann.
    Damit kommen wir zu einer anderen der grundsätzlichen Fragen, die in allen diesen Nachkriegsprozessen und natürlich auch im Eichmann-Prozeß berührt wurde und um die sich zu streiten in der Tat lohnen würde. Sie betrifft das Wesen und das Funktionieren der menschlichen Urteilskraft. Was wir in diesen Prozessen fordern, ist, daß Menschen auch dann noch Recht von Unrecht zu unterscheiden fähig sind, wenn sie wirklich auf nichts anderes mehr zurückgreifen können als auf das eigene Urteil, das zudem unter solchen Umständen in schreiendem Gegensatz zu dem steht, was sie für die einhellige Meinung ihrer gesamten Umgebung halten müssen. Und diese Frage ist um so ernster, als wir wissen, daß die wenigen, die unbescheiden genug nur ihrem eigenen Urteil trauten, keineswegs identisch mit denjenigen waren, für die die alten Wertmaßstäbe maßgebend geblieben oder die sich von einem kirchlichen Glauben leiten ließen. Da die gesamte tonangebende Gesellschaft auf die eine oder andere Weise Hitler zum Opfer gefallen war,

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