Ein altes Haus am Hudson River
wieder in Euphoria auftauchte, einen Wagen mietete und mit ihr zusammen lange Ausflüge machte – da verhielt sich ihr Vater, als habe er nichts gemerkt; und als ihn der Baptistenpfarrer besuchte und Andeutungen machte, sagte Harrison Delaney, hier melde sich eben die Natur zu Wort und er habe nicht das Format, sich mit der Natur anzulegen; außerdem werde sich der Vertreter vielleicht eines Tages scheiden lassen und Floss heiraten – was er natürlich nie tat.
Vance hatte Floss Delaney kennengelernt, als er unterwegs zu seinen Großeltern war. Damals fuhr noch keine Straßenbahn. Normalerweise sausten sie mit ihren Fahrrädern auf der ausgefahrenen Straße aneinander vorbei, doch eines Tages fand er Floss mit geplatztem Reifen und verstauchtem Knöchel im Schlamm liegen und half ihr nach Hause. Anfangs interessierte ihn nicht das Mädchen, sondern der Vater. Vance wusste alles über Delaney, das Gespött von Euphoria, aber irgendetwas am ungezwungenen, gleichgültigen Verhalten des Mannes, seine Art, den Besucher mit«Kommen Sie doch rein, Weston»zu begrüßen statt mit einem bloßen«Vance», seine wenigen Worte des Dankes für die Hilfe, die er seiner Tochter hatte zukommen lassen, der Klang seiner Stimme, schon sein Tonfall – all das unterschied ihn von dem schlauen Geschäftsmann, zu dem er es sichtlich nicht gebracht hatte, und gab Vance das Gefühl, dass auch Scheitern seinen Reiz haben konnte. Auch Euphoria spürte das, wenngleich nur undeutlich, wie er erkannte; die Stadt musste zugeben, dass er die Umgangsformen und Manieren eines Mannes hatte, der dazu geschaffen war, sich einen Namen zu machen. Selbst als er am Ende gänzlich ruiniert war, steckte man ihn noch in die Abordnungen zum Empfang vornehmer Besucher. Irgendwer lieh ihm einen schwarzen Anzug und ein anderer einen neuen Hut, denn man hatte das unbestimmte, allerdings auch unausgesprochene Gefühl, dass er sich bei solchen Anlässen ungezwungener benahm als selbst die erfolgreichsten Männer, einschließlich des Schuldirektors und des Pfarrers von der Alsop-Avenue-Kirche. Doch all dies änderte nichts daran, dass er ein Versager war und der aufstrebenden Gemeinde Euphoria nicht mehr nützte als die Heloten 10 der Jugend von Sparta. Ein Mann sollte sich in Fragen der Gesellschaft und Etikette auskennen und wissen, wie man sich bei einem Bankett benimmt, welchen Kragen man tragen und welchen Geheimbünden man angehören muss; aber das Wichtigste im Leben waren der Fortschritt und das Oben-Ankommen, und«oben»hieß immer und ausschließlich: wo das Geld war.
So lauteten die allgemein anerkannten Grundsätze, nach denen Vance erzogen worden war; als er nach Floss’ Unfall von Zeit zu Zeit vorbeischaute, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, fand er es jedoch merkwürdig reizvoll, Harrison Delaneys leiser, ein wenig schleppender Rede zu lauschen und auf die von ihm verwendeten Wörter zu achten – immer gute englische Wörter, inhaltsreich und ausdrucksstark, fast ohne Zugeständnis an den örtlichen Dialekt oder einen kurzlebigen, seuchenartig um sich greifenden Slang.
Erst als Floss wieder auf den Beinen war, begann sie ihn zu verzaubern. Als Vance eines Tages vorbeikam, traf er sie allein an, und von da an lief er Harrison Delaney nicht mehr hinterher, sondern ging ihm aus dem Weg, und das Paar traf sich außerhalb des Hauses … Bei der Erinnerung daran glühten ihm noch immer Körper und Seele. Aber es hatte keinen Sinn, jetzt daran zu denken. Sie war die ganze Zeit mit einem anderen Burschen herumgezogen, das wusste er … Wie sie ihn angelogen hatte! Er war ein Dummkopf gewesen, und zum Glück war alles vorbei. Dennoch mied er den Anblick des Hauses am Ende der Straße, vor dem er noch wenige kurze Monate zuvor nach Einbruch der Dunkelheit herumgelungert hatte, bis sie herauskam. An Sommerabenden waren sie zu den Ahornbäumen am Fluss hinuntergegangen, dort gab es ein Gebüsch, in dem man versteckt liegen konnte, Brust an Brust, und zuschauen, wie der Mond und die weißen Wolkenschatten vorbeisegelten und die Sternbilder auf ihren unsichtbaren Brücken über den Himmel wanderten …
Das Haus der Scrimsers besaß eine Veranda im Kolonialstil mit Blick auf den Fluss und einen offenen Kamin in der Halle. Der Vorgarten war immer etwas ungepflegt. Mrs Scrimser hatte zwar Pläne für die Bepflanzung und gedachte sie eines Tages auch zu verwirklichen. Aber zuvor hätte sie eine Menge halb toter Büsche absägen lassen müssen, und dazu
Weitere Kostenlose Bücher