Ein Gang durch die Katakomben
aber nun ihren Ururenkeln dieselben Züge weisen müssen, die man einst, davor grauend, mit einem Tuche zugehüllt und in einen Sarg verborgen hatte – und wie das reine weiße Wachslicht oder die dunkelrote Glut der Fackeln, die wir trugen, über die Gesichter und Glieder der Toten lief und darinnen schweren Kampf oder starre Ruh oder häßlich Grinsen wies: so waren wir alle bis in das Innerste erschüttert.
Wir fragten die Führer, ob man denn gar nicht mehr weiß, wer einer von denen gewesen sein möge, die wir da vor uns haben?
»Es mag wohl im Pfarrarchive zu finden sein«, antwortete er, »wer überhaupt herab begraben worden ist, aber da es schon viel über hundert Jahre sein mag, daß man niemanden mehr herab begraben hat, so kann man auch gar nicht wissen, wer dieser oder jener sei. Sie haben einmal sehr getrachtet, in die Stephansgruft begraben zu werden, damit sie ein vornehmes und ungestörtes Begräbnisplätzchen hätten.«
Ein vornehmes und ungestörtes Begräbnisplätzchen! Als ob irgend auf der Erde etwas Ungestörtes, etwas Unvergängliches wäre! Ja, ist nicht am Ende sie selber vergänglich und wird eine Leiche so wie die, die man jetzt so sorglich in ihrem Bauche verbirgt?
Mir fiel die Sage von dem Hunnenkönige Attila ein, dessen Leiche man in einen goldenen Sarg tat, den goldenen in einen silbernen, diesen in einen eisernen, und diesen zuletzt in einen steinernen. Dann grub man einen Fluß ab, senkte die Särge tief in die Erde seines Bettes und ließ dann die Wasser wieder darüber wegrollen – ja endlich tötete man die, die um das Werk wußten und es machen halfen, damit niemand auf Erden das Grab des Hunnenkönigs wisse!! – Aber eines Tages wird der Fluß den Sand und Schlamm in einer Überschwemmung herausstoßen, oder man wird eine Wasserbaute anlegen, oder der Fluß wird seinen Lauf ändern, und man wird im alten Bette ein Feld oder einen Garten graben: dieses Tages wird man dann den Sarg finden, das Gold und Silber nehmen, den König aber hinauswerfen auf den Anger der Heide.
Und so ist jeder Ruhm; denn für uns Sterbliche ist keine Stelle in diesem Universum so beständig, daß man auf ihr berühmt werden könnte; die Erde selber wird von den nächsten Sonnen nicht mehr gesehen, und hätten sie dort auch Rohre, die zehntausendmal mehr vergrößerten als die unsern. Und wenn in jener Nacht, wo unsere Erde auf ewig aufhört, ein Siriusbewohner den schönen Sternenhimmel ansieht, so weiß er nicht, daß ein Stern weniger ist, ja hätte er sie alle einst gezählt und auf Karten getragen, und zählte sie heute wieder, und sieht seine Karten an, so fehlt keiner, und so prachtvoll wie immer glüht der Himmel über seinem Haupte. Und tausend Milchstraßen weiter außer dem Sirius wissen sie auch von seinem Untergange nichts, ja sie wissen nichts von unserm ganzen Sternenhimmel; nicht einmal ein Nebelfleck, nicht einmal ein lichttrübes Pünktchen erscheint er in ihrem Rohre, wenn sie damit ihren nächtlichen Himmel durchforschen.
Während ich dies dachte, rasselte wieder ober uns das Geräusch eines rollenden Wagens auf dem Pflaster des Stephansplatzes, und es deuchte mir so leichtsinnig oder so wichtig wie etwa die Weltgeschichte der Mücken oder der Eintagsfliegen.
Wir aber leuchteten noch einmal die unbewegliche gespenstige Versammlung in die Runde an und wendeten uns dann zum Fortgehen; sie aber sanken hinter unsern weichenden Lichtern in ihre alte Ruhe, in ihre alte Nacht zurück.
Immer weiter, immer verwickelter und größer entfaltete sich diese Stadt der Grüfte; immer neue Tote waren zu treffen; Trümmer von Särgen, Hügel und Wälle von getrocknetem Moder, dann kommen wieder Knochen, dann leere Gewölbe und Gänge – und wie weit sich dies alles hin erstrecke, weiß man jetzt noch gar nicht mit Gewißheit; denn in manchem Gemache sieht man in der Mauer einen Steinbogen, fest und künstlich gefügt, daß er etwas trage, oder daß man hindurchgehen so wie durch den, durch welchen wir hereingekommen waren: aber dieser Schwibbogen ist mit Mauer angefüllt, so daß die Vermutung entsteht, daß hinter ihm wieder ein Gewölbe sei, das man zugemauert hatte, als es voll mit Toten war.
Und wirklich traten wir jetzt an eine Stelle, wo man eine Schlußmauer durchbrochen hatte, und siehe: aus der Bresche ragten eine Unzahl Särge hervor, klafterhoch aufeinandergeschlichtet, mit gräßlichen Trümmern und Splittern herausragend aus der Finsternis des Gewölbes – die Zeit hatte
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