Ein Sommer mit Danica
Dr. Vicivic es erlaubt.« Sie brachte ihm den Pyjama, hielt die Hose auf und nickte. »Einsteigen …«
Gehorsam zog er die Hose hoch, nahm ihr die Jacke aus den Händen und hielt dabei ihre Arme fest. »Danica –«, sagte er.
Ihr Gesicht war ganz nahe vor ihm. Die Augen flatterten, der schmallippige Mund zitterte. Sie ist nicht schön, dachte er, aber alles, was dieses herrliche Land zu bieten hat, ist in ihr. Sie ist Jugend … warmes, atmendes Leben … die Weite der Sehnsucht … Sonne auf den Felsen, Kühle in den Bergbächen, Wind über dem Meer, süßer Duft von Jasmin und Waldreben … sie ist Leben, einfach Leben … etwas unerklärlich Unbekanntes, das alles ändern wird …
Er umfaßte ihren Kopf, zog ihn zu sich heran und küßte sie.
Sie hielt still, solange ihre Lippen aufeinander lagen, dann aber riß sie sich los, stieß ihn mit beiden Fäusten zurück und lief aus dem Zimmer.
»Ich weiß, ich bin ein blöder Hund«, sagte Corell und setzte sich aufs Bett. »Ein ganz blöder Hund. Vergiß es, Danica …«
2
Zwei Stunden später kam Dr. Vicivic. Zwei Stunden, in denen Corell allein war, im Zimmer herumwanderte, aus dem Fenster blickte auf den kleinen Hof mit den Abfällen aus Robics Andenkenladen, zwei Stunden, in denen er abwechselnd an Schnaps und Danica dachte, zwei spielenden Katzen zusah und sich an den Gestank der Salbe unter seinen Verbänden zu gewöhnen begann.
Vicivic war entgegen Corells Vorstellung ein junger Arzt, korrekt gekleidet, mit einem modernen Kinnbart, wachen, kritischen Augen und der Figur eines Ringers. »Aha!« sagte er, als er Corell am Fenster stehen sah. »Die undankbarsten und aufsässigsten Patienten sind die Ärzte. – Vicivic.«
»Corell. Mir geht es blendend. Noch besser fühlte ich mich, wenn Sie mir jetzt einen Liter Slibowitz auf den Tisch stellten.«
»Ich werde die Verbände wechseln, Ihnen eine Injektion machen und Sie ins Bett jagen«, sagte Vicivic. »Danica hat mir erzählt, wie Sie sich benehmen. Sie haben eine dicke commotio.«
»Ich weiß. Jugoslawische Felsen sind besonders hart.«
»Und da springen Sie herum, starren in die Sonne und schreien nach Schnaps. Wollen Sie ihr Gehirn versauen?«
»Warum nicht?« Corell setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer und schlug die Beine übereinander. Er mußte lächerlich aussehen mit den gestreiften Pyjamahosen und dem bloßen Oberkörper, aber das alles hier wurde ja eine Farce. »Bis jetzt ist das Gehirn das einzige, was an mir noch nicht versaut ist … ich finde das inkonsequent. Dieses verdammte Gehirn denkt noch immer! Ich saufe seit vier Jahren, lieber Kollege, ich saufe eimerweise alles, was Alkohol ist, wie eine Elefant Wasser säuft. Nach medizinischer Lehrmeinung müßte ich ein Wrack sein, eine Ruine, aus deren Ritzen der Schnaps rinnt. Aber nein … ich strotze vor Kraft, und das Hirn, das verblöden sollte, denkt und denkt und denkt. Es läßt sich also auch durch eine commotio nicht erschüttern. Haben Sie Schnaps bei sich?«
»Nein.«
»Reinen Alkohol?«
»Nein.«
»Kollege, Sie lügen.« Corell zeigte auf die Tasche, die Vicivic in der Hand hielt. »Sie kommen her, um mich zu verbinden, und haben keinen reinen Alkohol bei sich? Das können Sie einem erzählen, der Pudding an die Wand nagelt. Packen Sie aus … wir verdünnen den Alkohol mit Wasser und stoßen an.«
Dr. Vicivic stellte seine Tasche auf das Bett, klappte sie auf und holte eine Plastikflasche hervor. Dann schob er Verbandpäckchen, Verbandklammern, Leukoplast und eine Blechdose über die Bettdecke. Corell beobachtete ihn mißtrauisch.
»Ist in der Dose Ihre widerlich stinkende Salbe?«
»Eine herbale Salbe.« Vicivic begann, alles für einen Verbandwechsel vorzubereiten. »Ein alter Apotheker in Isola mischt sie nach einem Rezept, das sich in seiner Familie seit Jahrhunderten vererbt.«
»Man riecht's.«
»Sie übertrifft alle Chemotherapie. Offene Wunden schließen sich in Rekordschnelle, und alles ohne die geringste Infektion. Sie haben nicht eine Minute Fieber gehabt, Dr. Corell. Sie werden sich wundern, wie Ihre Haut aussieht, wenn der Verband entfernt ist.«
Corell stand auf, ging zum Bett und griff nach der Plastikflasche. Vicivic schielte zu ihm hinauf und holte eine Verbandschere aus der Tasche.
»Wenn Sie die Flasche an den Mund setzen, schlage ich Sie k.o.«, sagte er. »Ich weiß, Sie sind im Normalzustand ein starker Bursche, aber jetzt bin ich Ihnen noch überlegen. Außerdem bin ich dreißig
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