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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Laster und die Leute um sich. Plötzlich griff er sich mit der Rechten an den Hals, es war eine flüchtige Geste, bevor er den Trägern folgte. Doch mir prägte sich der Anblick ein. War es Atemnot oder war auch dem Arzt etwas an die Kehle gesprungen und würgte ihn?
    Ich war schon weit fort und atmete wieder ruhig und flach. Als mich einer der jüngeren Ärzte dort abseits stehen sah und heranwinkte, trottete ich wie unbeteiligt hinüber, drängte mich durch die Menschentraube und postierte mich zwischen den beiden Männern, die mit quergehaltenen Besen den Eingang sicherten. Ich musterte die Gesichter der herandrängenden Leute. Solche waren immer dort, wo es Aufruhr gab, sie heulten und schrien, als betreffe es sie selbst, doch in Wahrheit genossen sie nur den Lärm, den sie selbst machten. Ich stieß diejenigen zurück, die zu weit hereinkamen, und zielte dabei auf ihre Gesichter, vernahm Betteln und Klagen, Flüche und Drohungen, doch ich empfand nichts. Es ist wie damals, ich habe mich nicht verändert, dachte ich und wischte den Kopf eines Jungen beiseite. Als er zornerfüllt wieder auftauchte und mir in die Augen sah, wich er zurück.
    Obwohl ich alle Hände voll zu tun hatte, wandte ich mich kurz um. Mir war, als hätte ich etwas gespürt, als ich den Kopf wandte. Und tatsächlich, in einigen Metern Entfernung stand der Doktor hinter mir. Anstatt bei seinen Patienten zu sein, beobachtete er mich. Er verzog keine Miene, nichts deutete darauf hin, dass dies mehr als ein Zufall war. Und doch ließ ich hilflos die Arme sinken, als sich der andere umdrehte und an die Arbeit ging.
    Auch während der nächsten Wochen erklomm ich in den Nächten die Holzleiter. Ich zog mich nun warm genug an und manchmal nahm ich sogar ein Glas und die Teekanne mit. Ich machte es mir regelrecht gemütlich auf dem Dach. Im Schneidersitz beobachtete ich das dunkle Fenster, und wenn schließlich das Licht den Raum dort drüben erhellte, war ich voller Erwartung, wie im Kino. Ich war mir des Sonderbaren meines Tuns durchaus bewusst und bemühte mich deshalb, unbeobachtet zu bleiben. Es fiel mir schwer, doch wartete ich stets bis nach Einbruch der Dunkelheit, auch wenn ich wusste, dass der Doktor bereits zu Hause war. Es überraschte mich, wie groß meine Neugier und meine Ungeduld war. Ich bin nicht zurückgekommen, dachte ich, ich bin krank, ich bin einsam.
    Und doch genoss ich mein geheimes Leben. Mit der Witwe hatte es begonnen. Nur in den Nächten konnten wir uns sehen, aber so waren wir ganz beieinander und fern von der Geschäftigkeit des Tages. Zwischen uns gab es ein stilles Einverständnis: Außer am Anfang sprach sie nie wieder von ihrer Familie und ihren Kindern und ich erzählte nichts von mir. Die Nacht umschloss und schützte uns, und was wir taten, behielt sie für sich.
    Dr. Stein hatte seine Wohnung inzwischen eingerichtet. Er war dabei planvoll vorgegangen und musste späterhin nicht viele Änderungen vornehmen. Ein gerahmtes Bild, von dem ich aus der Entfernung leider nicht viel erkennen konnte, hatte er mehrmals an eine andere Wand des Raumes gehängt. Auf dem Bett liegend oder im Stuhl sitzend hatte der Arzt versucht, die bestmögliche Position dafür zu finden. Schließlich gab er es auf, das Bild blieb verschwunden.
    Nun kehrte der Alltag ein. Mir fiel auf, dass der Arzt niemals Besuch hatte, obwohl er in der Stadt ein so wichtiger Mann war. Das schien ihn aber nicht zu stören. Wenn er abends heimkam, zog er sich sofort einen Bademantel über und schaltete das Radio ein – ich wusste, dass er nun Feierabend machte .
    Der Doktor hatte einige Bücher in ein Regal einsortiert, er las aber immer nur die Zeitungen, die er stapelweise mitbrachte. Es waren Titel aus dem Westen, einige davon hatte ich aufgetrieben; einer der wenigen Aufträge, die mir durch einen seiner Assistenten erteilt wurden.
    Nach etwa zwei Wochen gab es eine Veränderung. Ein üppiger Strauß Rosen stand im Raum. Verärgert fragte ich mich, wen der Doktor geschickt haben mochte, sie ihm zu besorgen. Wahrscheinlich hatten das seine Freunde in der Stadtverwaltung übernommen. Ich hätte bessere bekommen, wenn er mich nur gefragt hätte. Doch die langstieligen Rosen waren prächtig; selbst im Licht der nackten Glühbirne war ihr samtenes Rot ein Versprechen.
    Am Abend darauf hatte Dr. Stein erstmals Gesellschaft. Es war eine Europäerin. Deutlich jünger als der Arzt und fast so groß wie er, stand sie etwas unsicher im Raum und blickte sich um. Sie

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