Eine undankbare Frau
Das Zeug ist leicht zu besorgen, es wird sogar im Supermarkt verkauft. Und teuer ist es auch nicht.«
Wenn man jemanden loswerden will.
Trude Beskow wurde in ihrer Wohnung in Askeland verhaftet und unter dem Verdacht, ihren Vater Henry Beskow vergiftet zu haben, in Untersuchungshaft genommen. Sie war noch nie so viele Tage am Stück nüchtern gewesen, und die Nüchternheit erzeugte eine Wut, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Ihr Körper kam zum Stillstand, wie ein Motor ohne Öl blieb er stehen. Nichts half ihr durch die endlos langen Tage, sie war in jeder kreischenden Sekunde hilflos in ihrem Körper gefangen. Die wachhabenden Beamten nannten sie den Zyklon. Sie warf die Möbel durch die Zelle und manchmal schrie sie stundenlang, ohne Unterbrechung. Hartnäckig betonte sie ihre Unschuld. Sie behauptete, die Heimpflegerin Mai Sinok müsse Henry das Gift ins Essen gemischt haben.
»Bestimmt hat er ihr Geld versprochen«, behauptete sie. »Oder das Haus, das tun alte Leute doch, wenn jemand sich um sie kümmert.«
»Wir haben keinen Grund zu dieser Annahme«, sagte Sejer. »Sie ist in seinem Testament nicht begünstigt. Im Gegensatz zu Ihnen.«
Johnny Beskow bekam eine Pflichtverteidigerin zugeteilt. Sejer war sehr zufrieden mit dieser Entscheidung, er wusste, dass sie einen Sohn in Johnnys Alter hatte. Weil er so jung war, blieb ihm die Untersuchungshaft erspart. Aber er musste sich auf der Wache melden. Dreimal pro Woche erschien er dort und war immer pünktlich. Wenn er sich beim wachhabenden Beamten gemeldet hatte, wurde er gleich weiter zu Sejer geschickt. Da saßen sie dann und unterhielten sich bei einem Glas Mineralwasser. Johnny Beskow legte alle Karten auf den Tisch und gab zu, es habe Spaß gemacht, den Leuten Angst einzujagen. Aber es sei nur ein Spiel gewesen, behauptete er, er habe nur für ein bisschen Aufregung sorgen wollen. »Ich habe niemandem etwas getan.«
»Doch«, sagte Sejer ernst. »Das hast du. Und einige von ihnen tragen den Schaden ein Leben lang mit sich herum. Auch wenn du das heute noch nicht begreifst, wirst du es vielleicht verstehen, wenn du älter bist.«
Er sah dem Jungen in die Augen. »Wie ist dein Leben bisher gewesen?«, fragte er. »Das Leben mit deiner Mutter in Askeland?«
Johnnys Blick verdüsterte sich und er bekam einen verbitterten Zug um den Mund.
»Sie war nie nüchtern«, erklärte er. »Und immer musste ich darunter leiden. Das ist verdammt ungerecht.«
»Ja«, sagte Sejer. »Das ist ungerecht. Was ist mit dir? Warst du immer gerecht? Ich meine, hast du Frau Mørk gerecht behandelt? Und Astrid und Helge Landmark? Und Francis und Evelyn Mold? Hast du Karsten und Lily Sundelin gerecht behandelt?«
Johnny sprang auf und lief durchs Zimmer, warf Sejer wütende Blicke zu und war zutiefst gekränkt.
»Warum soll ich gerecht sein, wenn alle anderen auch nicht gerecht sind?«, fragte er.
»Kennst du denn alle anderen?«, fragte Sejer.
Johnny gab keine Antwort. Er setzte seine wütenden Runden durch das Zimmer weiter fort.
»Ich war immer gerecht«, sagte Sejer. »Mein ganzes Leben lang. Und das ist mir nicht einen einzigen Tag lang schwer gefallen.«
»Angeber!«, sagte Johnny.
»Lass uns ein bisschen über Theo reden«, sagte Sejer. »Darüber, was ihm passiert ist. Du sagst, dass du noch nie oben bei Bjørn Schillingers Haus warst. Du weißt also, dass das Haus oben auf einer Anhöhe liegt, ja? Woher weißt du das?«
Da unterbrach Johnny Beskow seine Wanderung. Er beugte sich über den Tisch vor, packte Sejers weinroten Schlips und riss daran.
»Er wohnt doch auf Sagatoppen. Die Adresse verrät doch schon, dass er auf der Anhöhe wohnt. Sie können mir für alles die Schuld geben«, fügte er hinzu. »Aber nicht für die Sache mit den Hunden. Ich sag Ihnen eins. Mein Leben ist sowieso keine Krone wert. Und wenn das mit den Hunden meine Schuld gewesen wäre, dann hätte ich mich längst ertränkt.«
Er ließ sich nicht ins Wanken bringen.
Als hätte die Wahrheit ihm unerschütterliche Kraft verliehen.
Er starrte Sejer in die Augen, ohne auszuweichen, er streckte die Hände aus, um zu zeigen, dass sie sauber waren.
»Geben Sie mir nicht die Schuld für die Sache mit Theo.«
Sie mochten einander. Sejer hatte nichts dagegen, für den verstörten Jungen eine Vaterfigur darzustellen, und Johnny hatte den einzigen Menschen verloren, der ihm etwas bedeutet hatte. Sie trafen sich wegen der Meldepflicht regelmäßig. Oft hatte Sejer einen Imbiss besorgt,
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