Einmal Hochzeit und zurück
begreifen, dass jemand, der sein ganzes Leben lang in London gelebt hatte, nicht gelegentlich mal da rauswollte. Ich hatte ihm mehrfach geduldig erklärt, dass es für mich unabdingbar ist, in unmittelbarer Nähe einen rund um die Uhr geöffneten Lebensmittelladen zu haben, anständige Bagels und die Möglichkeit, wenn mir der Sinn danach steht, in einem Nachtclub sechs Pfund für ein Fläschchen Mineralwasser zu bezahlen, aber er laberte bloß unverdrossen weiter über Felder und Tiere, als sei das was Gutes.
Im Dämmerlicht betrachtete ich sein Profil. Er sah müde aus. Herrgott, er war müde, sehr müde. Und ich auch. Olly arbeitete für eine Anwaltskanzlei, die viel mit todlangweiligem Konzernkram zu tun hatte. Der konnte sich oft über Monate hinziehen, und im Grunde genommen ging es dabei nur darum, dass fette reiche Mistkerle (mit Ausnahme von Ol, selbstverständlich) sich Mittel und Wege ausdachten, aus nicht näher definierten Gründen andere fette reiche Mistkerle aufs Kreuz zu legen, und die Firmennamen klingen alle wie Decknamen für James Bond. Ich arbeitete als Buchhalterin bei einer Megafirma - da gab es Tausende von uns. Ich versuchte den Leuten immer einzureden, es mache viel mehr Spaß, als es sich anhörte, aber ich glaube, nach elf Jahren merkten sie einfach an meinem Tonfall, dass es nicht stimmte. Damals hatte der Job sich als sichere Alternative angeboten. Am Anfang hatte es sogar noch Spaß gemacht, sich schick anzuziehen und im Business-Kostüm herumzulaufen, aber in letzter Zeit gingen mir die Sechzig-Stunden-Wochen, die indiskutable Firmenpolitik, die allgemeine Furcht vor einer Wirtschaftskrise und die Sonntage, die Ol und ich damit verbrachten, unsere jeweilige aus dem Büro mitgebrachte Arbeit auf dem Küchentisch zu verteilen, zunehmend an die Substanz. Ich verbrachte viel Zeit - so unendlich viel Zeit in dieser trockenen, mindestens dreimal eingeatmeten Luft. Wenn es auf einen Geschäftsabschluss zuging, war ich zwölf Stunden am Tag in dem Laden. Was ungefähr 75 Prozent meiner Wachzeit ausmachte. Bei dem Gedanken geriet ich jedes Mal in Panik.
Unser Lebensstandard ließ nichts zu wünschen übrig, dachte ich, während ich hinaus in den Regen blickte und überlegte, wie merkwürdig schwarz es da draußen war: In meinem Leben gab es nicht viel vollkommene Dunkelheit. Ich meine, wir verdienten beide genug Geld - Olly würde es vermutlich irgendwann zum Partner in seiner Kanzlei bringen, denn er arbeitete wirklich hart. Aber die Scheiße, die wir uns antaten, um an dieses Geld zu kommen ... Mannomann.
Wir konnten uns tolle Urlaube leisten, und Olly hatte eine klasse Wohnung in Battersea, in der ich praktisch mit ihm wohnte. Eine gute Ecke, mit vielen Bars und Restaurants und anderen Ausgehmöglichkeiten, und sollten wir die Zeit finden, irgendwann Kinder in die Welt zu setzen, dann wäre es auch eine gute Gegend, sie großzuziehen. Es gab Parks in der Nähe und alles. Gute Schulen, bla bla bla.
Und gute Freunde. Die Besten, genauer gesagt. Und das war auch der eigentliche Grund, weshalb wir hier waren und in der tiefsten Pampa durch Schlammpfützen fuhren. Meine älteste Schulfreundin, Tashy, heiratete. Und obwohl wir beide in Highgate aufgewachsen sind, war sie bei ihrer Verlobung mit Max total Vier-Hochzeiten-und-ein-Todesfall-mäßig rübergekommen und hatte darauf bestanden, irgend so einen Landgasthof mitten in der Einöde zu mieten, mit dem die beiden nicht das Geringste verband.
Ich freute mich, dass sie heiratete, Bräutigam hin oder her. Schon in der Schule hatten wir dieses bedeutende Ereignis bis ins kleinste Detail geplant. Selbstredend nicht vor unserem 22. Geburtstag (inzwischen waren wir beide 32). Wie bei Prinzessin Dianas Hochzeit sollte es sein (obwohl ich bei der Anprobe für Tashys Brautkleid dabei gewesen war: Es ist sehr elegant und schmal geschnitten, wie die Modelle von Vera Wang, Gott sei Dank), und aller Wahrscheinlichkeit nach mit Prinz Edward (wenn wir das gewusst hätten) oder dem Bassisten von Duran Duran als Bräutigam.
Olly erwischte mich dabei, wie ich ihn anschaute.
»Sag nichts - du möchtest fahren.«
»Scheiße, bestimmt nicht.«
Er verzog das Gesicht. »Hör mal, ich weiß ja, dass du müde bist, aber musst du unbedingt so viel fluchen?«
»Was? Wir fahren doch schließlich nicht im Papamobil. Wir sind doch beide erwachsen.« Ich rümpfte die Nase. »Und überhaupt, einen Anwalt kann man mit so was doch wohl nicht mehr verderben,
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