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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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ihr Nest fände, dann könnten wir sie hineinsetzen. Aber die Dohlen haben ihre Nester irgendwo im Gestein gut versteckt.«
    »Kann man einer Dohle nicht das Sprechen beibringen?«
    »Ja, das geht. Aber vorher hat sie dich wahrscheinlich halb totgeärgert.«
    »Wie meinst du das?«
    »Der dicke Wim hat eine gehabt. Das Sprechen hat sie zwar nicht gelernt, aber sie ist ganz zutraulich geworden.«
    »Das ist doch schön.«
    »Weniger schön war es, dass sie der Nachbarin über fünfzig junge Pflanzen aus dem Beet zupfte und sie fein säuberlich in Reih und Glied neben die Pflanzlöcher legte. Die Nachbarin hat den Wim selber in Verdacht gehabt. Erst als die Dohle auf der Bleichwiese über Frau Sichelmanns weiße Laken schön gleichmäßig schwarze Kirschen verteilt hat, da hat sie dem Wim geglaubt, dass der Vogel Sinn für geometrische Figuren entwickelt hat. Später war die Dohle dann mehr gefürchtet als jeder Wachhund in der Straße. Den Kindern tanzte sie auf dem Kopf herum und hackte auch wohl zu. Einmal hat Wim sie mit zur Schule gebracht. Erst war Herr Coudenhoven ganz begeistert. Er hat von Kopf bis Schwanz alles gezeigt, was an einer Dohle zu zeigen ist. Doch dann wurde ihm das Tier lästig, das mal auf dieser Bank, mal auf jenem Jungenkopf landete und fortgesetzt Unruhe stiftete.
    ›Schaff das Tier fort!‹, herrschte er Wim an. Der warf sie kurzerhand auf den Schulhof. Doch die Dohle war nicht damit einverstanden, flatterte auf die Fensterbank und hämmerte gegen die Scheiben. Schließlich hat Wim sie verkaufen müssen. Von einem Zigeuner hat er eine halbe Silbermark dafür bekommen.«
    »Ich möchte die Dohle wohl haben«, sagte Sigi.
    »Wenn du meinst. Aber wird sie dir nicht viel Ärger bringen?«
    »Vielleicht auch viel Freude. Ich werde ihr das Sprechen bestimmt beibringen.«
    »Also gut. Hier, nimm sie bei den Flügeln.«
    Das Tier zitterte. Sigi drückte es leicht gegen seine Brust und wärmte es.
    »Wie wirst du die Dohle rufen, Sigi?«
    »Dohlen heißen Jakob.«
    »Warum eigentlich?«
    »Weil unser Stammvater Jakob von ihnen gespeist worden ist.«
    »Ach ja. Jakob ist ja auch unser Stammvater. So steht es im Alten Testament.«
    »Das ist gut, nicht?«
    »Was?«
    »Na, dass wir einen Stammvater gemeinsam haben, oder?«
    »Ja. Das ist gut.«
    Karl stapfte weiter. Bald hatte er einen schmalen Brettersteg erreicht. Ein Lattengeländer gab ein wenig Halt. Das Brett bog sich und wippte unter ihren Schritten. Sie kletterten durch eine Luke und standen auf der Turmgalerie. Es fuhr Sigi in die Knie, als er hinunterschaute.
    Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den schieferbeschlagenen Helm des Turms. Das Steingeländer ringsum war mannshoch. Zwischen den einzelnen Rippen hätte man bequem hindurchspringen können.
    »Von unten sah das gar nicht so gefährlich aus, Karl.«
    »Es ist auch nicht gefährlich. Bis zum Geländer ist es ja ein ganzer Schritt. Gewöhne dich erst ein wenig an die Höhe.«
    Sigi blickte über die Stadt hinweg. Hier und dort leuchtete ein Licht. Der Strom glitzerte im Mondlicht. Die Schiffe, für die Nacht unter dem Ufer festgemacht, hatten ihre Positionslaternen angezündet.
    »Merkst du, wie der Turm schwankt?«
    Sigi war das noch nicht aufgefallen. Jetzt aber spürte er es deutlich.
    »Wie im Mastkorb eines Segelschiffes komme ich mir vor.«
    Allmählich wich das schlappe Gefühl aus den Beinen. Mit einer Hand auf dem Schiefer, mit der anderen am Steingeländer ging Karl rund um den Helm. Sigi folgte ihm vorsichtig. Behutsam hielt er seinen Jakob fest.
    »Die Stadt ist doch klein.« Karl fand das auch. Die Straßenzüge, die Plätze, die Häuser, alles war überschaubar, geordnet, einsichtig.
    »Hat doch etwas für sich, die höhere Warte«, spöttelte Sigi.
    »Da, sieh mal, da kommt der Nachtzug.«
    Eine Lichterraupe bewegte sich auf die Stadt zu und blieb am hell erleuchteten Bahnhof stehen.
    »Auch der Zug fährt langsamer, so sieht es jedenfalls aus.«
    »Ja, Sigi, hier oben sieht man Stadt und Menschen ganz anders. Der Küster sagt, die Leute hätten früher oft bei dem Glöckner Rat gesucht. Selten wäre einer ohne Trost wieder hinuntergestiegen. Er hat sie hier auf die Galerie geführt und hinabsehen lassen. Sie haben gespürt, dass vieles, von oben her gesehen, einen Sinn, einen Plan hat, wo man unten nur Sinnlosigkeit und Durcheinander feststellen kann.«
    Immer mehr Lichter erloschen in der Stadt. Schließlich blieben nur noch die Fenster der Polizeistation erleuchtet.

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