Fallen Angel 07 Tanz der Rose
weggebracht, zurück in die Sicherheit von Mayfair, aber er wußte genau, daß sie damit nicht einverstanden wäre. »Kannst du dich an sonst etwas erinnern? «
»An das Schiff, mit dem ich nach London gekommen bin«, murmelte sie langsam. »Es war eine rauhe Überfahrt... Wir kamen von irgendeinem Ort, wo Französisch gesprochen wurde, und ich konnte die Sprache verstehen... jedenfalls das, was ein Kind dieses Alters versteht, wenn Erwachsene sich unterhalten... «
»Und mit wem warst du unterwegs? «
»Mit einer Frau. « Rosalind blieb stehen und starrte ins Leere. »Sie war seekrank, ich nicht... Ich brachte ihr etwas zu essen, und sie stöhnte nur und schickte mich weg. Ich konnte nicht begreifen, warum es ihr so schlecht ging. «
»War diese Frau deine Mutter? «
»Nein! « rief Rosalind scharf. »Nicht meine Mutter! «
Stephen wunderte sich über ihren heftigen Protest, wollte sie aber nicht weiter quälen, speziell nicht an diesem Ort. Er zog ihren Arm durch seinen und bog in eine andere Straße ein. Wie Rosalind bemerkt hatte, wirkte die Gegend wirklich fast ausgestorben. Nur hin und wieder spürte er, daß sie durch schmutzige Fenster beobachtet wurden, und es beruhigte ihn, die beiden Diener in einiger Entfernung hinter sich zu wissen.
Einem mageren hinkenden Hund ausweichend, murmelte er: »Jetzt, da ich dieses Elendsviertel mit eigenen Augen sehe, kann ich besser verstehen, warum hier niemand einem kleinen Waisenkind zu Hilfe gekommen ist. «
Rosalind lächelte schwach. »Wieviel ich den Fitzgeralds zu verdanken habe! Seltsamerweise hatte ich sofort Vertrauen zu Maria... vielleicht erinnerte sie mich an meine Mutter. Als sie mich in die Arme nahm und fragte, ob ich eine neue Mama und einen neuen Papa haben wolle, schwor ich mir, ihr nie Kummer zu bereiten... «
»Das hast du auch nicht. Thomas hat mir erzählt, du seist ein fast unnatürlich braves Kind gewesen. «
»Ich hatte Angst, daß sie mich hierher zurückbringen würden, wenn ich nicht brav wäre. « Nervös strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Natürlich war das Blödsinn, aber ich konnte diese Furcht nie ganz überwinden. «
Stephen blutete das Herz, wenn er sich vorstellte, wel che Alpträume sie auch Jahre nach der Adoption gehabt haben mußte. Ein Wunder, daß sie trotzdem ein so lebensfroher Mensch geworden war!
Als sie wieder um eine Ecke bogen, sahen sie eine alte Frau, die mit einer Tonpfeife im Mund auf den Stufen eines baufälligen Hauses saß. Rosalind hielt plötzlich den Atem an. »Ich erkenne sie wieder! Das heißt, auch damals gab es hier eine Frau, die immer draußen saß. Die alte Molly... Ich nehme an, daß sie mit einem Seemann verheiratet war und aus Langeweile alles beobachtete, was in der Nachbarschaft vorging. «
»Könnte es dieselbe Frau sein? «
Rosalind kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Molly kam mir damals uralt vor, aber sie hatte dunkle Haare. Jetzt sind sie weiß, und sie hat ein runzeliges Gesicht. Vielleicht ist es wirklich Molly. « Ihr unruhiger Blick schweifte über die Gebäude. »Sie hat in dieser Straße gewohnt, denn ich erinnere mich an diese eigenartigen Fassaden. «
»Das ist holländischer Baustil. « Hier war sie also als hilfloses Kind umhergeirrt... »Gibt es einen besonderen Grund, weshalb du dich nach all den vielen Jahren an sie erinnerst? «
Rosalind nickte. »Genau an dieser Stelle haben Thomas und Maria mich gefunden, und Molly hat ein paar Worte mit ihnen gewechselt. «
»Dann wollen wir sie fragen, ob auch sie sich noch an jenen Tag erinnern kann. « Arm in Arm näherten sie sich der alten Frau, deren wettergegerbtes Gesicht darauf hindeutete, daß sie tatsächlich seit Jahrzehnten die meiste Zeit im Freien verbrachte.
»Guten Tag«, sagte er höflich. »Meine Frau würde Sie gern etwas fragen. «
Sie nahm die Tonpfeife aus dem Mund. »Ja? «
»Vor langer Zeit - genauer gesagt, vor 24 Jahren - hat ein Waisenkind hier gehaust«, berichtete Rosalind. »Können Sie sich zufällig noch daran erinnern? «
Die alte Frau zuckte mit den Schultern. »Waisen gibt's in dieser Gegend scharenweise. «
»Es war ein ganz kleines Mädchen. «
Die Frau zog an ihrer Pfeife. »Ach ja, die Göre... Kleine Mädchen bleiben selten lange auf der Straße, weil man sie in Bordellen gut gebrauchen kann. Ein dunkelhaariges Pärchen hat die Göre damals mitgenommen - wie Hurenjäger sahen die beiden eigentlich nicht aus, aber vielleicht waren sie trotzdem welche. «
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