Feindbild Islam - Thesen gegen den Hass
sind in der Tat überragend hohe Güter. Wir sollten sie immer verteidigen. Demokratie und Rechtsstaat sind ohne sie nicht möglich. Aber hat nicht auch Friedrich der Große recht, wenn er gleichzeitig Respekt fordert? Der preußische Reformer und Aufklärer hatte sofort nach Beginn seiner Regierungszeit nicht nur die Folter abgeschafft, sondern auch die Religions-, Presse- und Gedankenfreiheit eingeführt.
Und dennoch schrieb der Philosoph auf dem Königsthron an seinen Freund Voltaire: »Die Toleranz muss jedem Bürger die Freiheit lassen zu glauben, was er will. Aber sie darf nicht so weit gehen, dass sie die Frechheit und Zügellosigkeit von Hitzköpfen gutheißt, die etwas vom Volk Verehrtes dreist beschimpfen.«
Der Preußenkönig war in Fragen des Respekts gegenüber Andersgläubigen viel souveräner als die Kleingeister unserer Zeit. Friedrich der Große stellte seinen bosnisch-muslimischen Lanzenreitern einen Imam zur Seite, der fünfmal täglich zum Gebet rief. Den Türken versprach er sogar Moscheen, wenn sie nach Preußen kämen. Er war wirklich ein Großer.
Die Überwindung des tiefen Grabens zwischen Orient und Okzident liegt auch im Interesse Israels. Die langfristige Garantie für das Überleben Israels und seiner fünf Millionen Juden ist nicht die Feindschaft, sondern die Freundschaft seiner 300 Millionen näheren und ferneren arabischen Nachbarn. Hierzu muss der Westen, aber auch Israel einen fairen Beitrag leisten.
Seine sittliche Größe erlangte das jüdische Volk nicht durch seine militärischen Siege und auch nicht durch die beeindruckende Zahl seiner Talente. Seine sittliche Einzigartigkeit erreichte es durch seine Gottesfurcht, seine Weisheit, seinen Humanismus und seine Kreativität sowie durch seinen langen, tapferen und oft listigen Kampf für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung.
Dass Israel nach dem Holocaust auch auf Waffen setzt, ist verständlich. Auch die Härte, mit der es legitime Interessen vertritt. Aber Härte ohne Gerechtigkeit wäre eine Strategie ohne Perspektive. Wenn das schöpferische Israel nur noch zerstört, zerstört es sich selbst. Israel muss, wie der gesamte Westen, mindestens so viel in Gerechtigkeit investieren wie in Waffen. Die Behandlung der Palästinenser entspricht nicht der sittlichen Größe und Einzigartigkeit des jüdischen Volkes. Gerade als Bewunderer der jüdischen Kultur kommt man an dieser Feststellung nicht vorbei.
Auch die Palästinenser müssen ihre Politik ändern. Der Westen hat recht, wenn er von ihnen einen Gewaltverzicht gegenüber Israel verlangt. Aber muss er nicht auch von Israel einen Gewaltverzicht gegenüber den Palästinensern fordern? Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation BTselem wurden im israelisch-palästinensischen Konflikt zwischen dem 29. September 2000 – dem Beginn der zweiten Intifada – und dem 31. Mai 2011 1092 Israelis getötet. Ihnen stehen jedoch 6503 von Israelis getötete Palästinenser gegenüber. Welch unsinniges, überflüssiges Leid auf beiden Seiten.
Eine Aussöhnung zwischen Juden und Palästinensern ist genauso möglich wie das Wunder der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen. Juden und Palästinenser haben religiös, kulturell und geschichtlich mehr gemeinsam, als den meisten bewusst ist. Sie haben jahrhundertelang friedlich zusammengelebt. Sie haben »mit Abraham und Moses dieselben Eltern«, wie Israels Präsident Schimon Peres treffend formulierte.
Jahrhundertelang wurden Juden und Muslime gemeinsam gejagt – nicht nur während der Kreuzzüge und der Reconquista. Die französische Vichy-Regierung beispielsweise wendete gegen die Juden die gleichen rassistischen Diskriminierungsgesetze an, die sie vorher mit »Erfolg« an den Algeriern getestet hatte (Olivier Le Cour Grandmaison).
Wir Deutsche haben eine historische Verantwortung gegenüber Israel und seinem Existenzrecht – gestern, heute und morgen. Das jüdische Volk hat aufgrund seiner Geschichte und nach all dem, was es jahrtausendelang erdulden und erleiden musste, eine sichere Heimat in Palästina verdient. Aber genau aus diesem Grund haben wir auch eine historische Verantwortung gegenüber den Palästinensern. Sie tragen die Schuld ab, die Deutschland mit dem Holocaust für immer auf sich geladen hat. Hat der jüdische Politologe Alfred Grosser nicht recht, wenn er sagt: »Wer Hitler abschütteln will, muss (auch) die Palästinenser verteidigen«?
Die eigentliche Lehre aus dem Holocaust heißt, dass wir nie
Weitere Kostenlose Bücher