Finsterherz
über der Platte ein dickes Vergrößerungsglas angebracht war, damit er auch die allerkleinste Einzelheit erkennen konnte. Ferner gab es Schraubenzieher, nicht größer als Stecknadeln, und Lötkolben in der Größe einer Nähnadel. All diese Dinge benutzte der Puppenmacher, aber nie sah man ihn bei der Arbeit. Nur wenn der Laden geschlossen war, dann arbeitete er.
Die Leute hatten Angst vor ihm. Merkwürdig, nicht wahr? Warum sollte man vor einem Spielzeugmacher Angst haben? Aber genau das war der Fall. Es war dieselbe Angst, die einen beschleicht, wenn man nachts allein ist. Für diese Angst bedurfte es keiner Worte. Sie ging allein von der Erscheinung des Puppenmachers aus. Wenn er die Besucher seines Ladens nur ansah, war es, als wüsste er schon, was jeder Einzelne von ihnen auf der Welt am meisten fürchtete. Als wüsste er es und könnte es mit einem Schlag wahr werden lassen, wenn er nur wollte.
Doch eben dies geschah nicht.
Die Besucher waren froh, wenn sie wieder draußen auf der belebten Straße waren, eine Schachtel mit einem seiner Wunderwerke in der Hand. Nur deshalb hatten sie sich hineingewagt, sonst hätten sie das Geschäft nie betreten.
Und jetzt will ich dir etwas verraten, was niemand wusste. Die Werkbank am Fenster des Laden s – so platziert, damit Tageslicht darauffie l – war nicht seine einzige.
Er hatte noch eine.
Wenn man in seinen Laden kam, war der Tresen auf der rechten Seite, die Werkbank links unter dem Fenster und drüben in der Ecke die schmale Wendeltreppe. Am Fuß der Treppe stand ein Schrank. Ich nenne ihn Schrank, aber im Grunde war es nicht mehr als ein dicker, grüner Samtvorhang an einer Stange, der ein Regal mit Schachteln, Einwickelpapier und anderen Kleinigkeiten verbergen sollte. Sie waren gut sichtbar, da der Vorhang immer einen Spaltbreit offen stand.
Und das war der Trick bei der ganzen Sache.
Man dachte, er sei nichts weiter als ein Vorhang vor einem Regal. Aber dem war nicht so. Wenn die Fensterläden geschlossen und die Jalousien heruntergelassen waren, zog der Puppenmacher den Vorhang zurück, räumte die leeren Schachteln weg, nahm den Schlüsse l – jenen kleinen Schlüssel, der über seiner Weste baumelte und in alle Spielsachen passt e – und steckte ihn in eine Ritze in der Wand. Nein, es war keine Ritze, sondern ein Schloss. Er drehte den Schlüssel um, drückte ihn nach innen und die Wand öffnete sich. Bei dieser Gelegenheit wandte sich der Puppenmacher jedes Mal um und vergewisserte sich, dass niemand hinter ihm stand, dann zog er den Vorhang wieder zu, schritt durch die Öffnung in der Wand, schloss sie und sperrte ab.
Und hier stand seine zweite Werkbank.
Was hat man von einem Spielzeug zum Aufziehen? Seine Feder läuft ab und es bleibt stehen. So ausgeklügelt die kleinen Apparate auch waren, die der Puppenmacher in seinem Laden verkaufte, verglichen mit dem, was er hier im Geheimen erschuf, waren sie nur ungeschlachte Teile aus Ton und Metall. Was hat man von einem Spielzeug, dessen Feder abläuft? Was wäre, wenn man ihm ein Herz einpflanzen könnte? Ein echtes, lebendes Herz? Eines, das schlägt und schlägt und nicht mehr damit aufhört? Wer ein solches Spielzeug bauen könnte, was vermöchte der nicht alles zu vollbringen!
Der Puppenmacher saß an der Werkbank, betrachtete mit seinen hellgrünen Augen die Werkzeuge und grübelte über diesen Plan nach.
Zunächst hatte er keinen Erfolg. Er verteilte in dem engen, dunklen Hof hinter seinem Laden kleine Fallen aus Weidengeflecht. Er streute Brotkrumen auf den Boden und stellte dann die Falle darauf. Diese war ein schräg stehender Korb, den er mit einem Stock abgestützt hatte. Nun legte er sich auf die Lauer, bis ein Sperling oder ein Star angeflattert kam und leichtsinnig Brotkrumen aufpickte, ohne die Falle zu bemerken. Dann zog der Puppenmacher an einer Schnur, der Stock fiel um und der Korb kippte.
Der Puppenmacher hatte kleine Käfige für seine Gefangene n – tot nützten sie ihm nichts. Diese Käfige waren an der Wand der Werkstatt aufgereiht. Die Vögel darin schauten direkt ins Zimmer. Hundert schwarze Knopfaugen. Und er arbeitete an der Werkbank, bis er so weit war und das halb fertige Spielzeug geöffnet vor ihm lag. Dann holte er einen Sperling aus einem der Käfige, schnitt ihm mit einem Messer rasch das noch schlagende Herz heraus und versuchte es in das Spielzeug einzupassen, wobei er sorgfältig die winzigen Schwungräder und Zahnrädchen an die Blutgefäße
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