Flying Moon (German Edition)
Are you satisfied with an average life
Do I have to lie, to find my way in life
Marina And The Diamonds
1.
Wir hatten den heißesten Sommer, den ich je erlebt habe, seit Tagen lag die Stadt unter einer riesigen Hitzeglocke. Ich war aufgeregt, denn wir wollten auf eine Filmparty bei Nora gehen. Sie war eine bekannte Filmproduzentin und mein Vater sah es als große Chance, sein Durchbruch als Drehbuchautor. Nora mochte seinen Stil, sie wollte sein neues Drehbuch produzieren, eine romantische Liebesgeschichte, etwas, das er sonst nicht schrieb, eher kleine, kunstvoll erzählte Dokumentationen und Arthouse-Filme.
Wir standen zusammen im Schlafzimmer meiner Eltern. Mein Vater war nervös. Er probierte einen Smoking an, ich hatte nicht gewusst, dass er so etwas überhaupt besaß. Wahrscheinlich hatte er ihn gekauft, um irgendwann einmal über den roten Teppich in Hollywood zu laufen. Und zugegeben, er stand ihm gut. Sehr gut sogar. Er sah aus wie ein Filmstar, groß und schlank mit lässig nach hinten gekämmten Haaren. In der Kleidung schien er sich zu verwandeln und auf einmal war er mir sogar fremd.
»Ihr braucht euch nicht zu verkleiden, aber Moon, lass deine zerfetzte Jeans heute bitte mal zu Hause.«
Meine zerfetzte Jeans, wie er es nannte, war meine zweite Haut, mein Zuhause, mein ICH. Außerdem war sie, kombiniert mit einem Label-T-Shirt und Chucks das Coolste, was man anziehen konnte. Also, was hatte er?
»Und Lion, kämm deine Haare, sie sehen aus, als nisten Vögel darin.«
Lion war vierzehn und was mein Vater sagte, praktisch Gesetz. Ich war sechzehn und sah das entschieden anders. Mein Vater trug doch selber meistens Jeans und Turnschuhe, er war Amerikaner, er war lässig. Wir alle waren lässig. Ich sah fragend zu meiner Mutter, die gerade ein enges blaues Cocktailkleid anprobierte. Sie sah großartig aus, schlank und elegant, mit leicht gebräunter Haut. Sie sah zu mir, traf dann offenbar spontan eine Entscheidung, ging zum Schrank und warf mir ein kleines schwarzes Cocktailkleid zu. Offen gestanden war ich schon länger scharf darauf. Kombiniert mit großen Ohrringen oder bunten Armbändern sah es sicher toll aus. Ich kroch aus meiner Jeans und schlüpfte in das Kleid. Es war phantastisch. Ich nahm meine schulterlangen Haare zusammen und hielt sie hoch. Perfekt.
»Hast du Schuhe dazu?«, fragte mein Vater erleichtert.
Meine Mutter griff wieder in den Kleiderschrank und reichte mir zierliche schwarze Sandalen mit schmalen Riemchen und einem kleinen Absatz. Ich hatte sie noch nie an ihr gesehen. Ich probierte sie an, sie waren schön, aber mindestens eine Nummer zu groß.
»Kannst du ja später ausziehen«, sagte sie und lächelte.
Lion stand immer noch unentschlossen im Raum, bis Mom ihn an der Hand nahm, in sein Zimmer zog und solange in seiner Kommode wühlte, bis sie ein schwarzes Hemd und eine nagelneue dunkle Hose fand. Es war klar, warum die Sachen so neu waren, er hatte sie noch nie vorher getragen. Vor dem Spiegel zog er eine Grimasse. Wir grinsten uns an. Ich fühlte mich elegant und erwachsen, aber er kam sich nur verkleidet vor. Er boxte in meine Richtung. Ich wich geschickt aus und flüchtete über das Bett. Lion verfolgte mich und bewarf mich mit Kissen. Wir lachten, aber mein Vater fand das nicht witzig.
»Hört mal! Diese Sache ist wichtig! It´s really important!« Wenn mein Vater aufgeregt war, sprach er englisch, meist ohne es zu merken. Okay, important, schon klar.
»Das wissen wir, Paul«, sagte Mom ruhig und wir nickten.
Nora wohnte in einer riesigen Villa. Unser Taxi fuhr die geschwungene Kiesauffahrt mit den kunstvoll geschnittenen Buchsbäumen hinauf und hielt direkt vor dem Eingang mit dem großen, prachtvoll angeleuchteten Springbrunnen. Was für ein Luxus. Wir stiegen aus, es war schwül und viel zu warm für die Jacke, die ich mitgenommen hatte.
»Seht euch das an!«, sagte meine Mutter und deutete Richtung Eingang, wo Dienstpersonal mit gestreiften Westen und weißen Handschuhen stand. Sie zog amüsiert die Augenbrauen hoch. Als Bühnenbildnerin bevorzugte sie einen klaren und nüchternen Stil. Diener in gestreiften Westen und beleuchtete Springbrunnen gehörten nicht dazu.
»Benehmt euch!«, sagte mein Vater nicht ganz ernst und ging vor. Im Eingangsbereich wurde mir die Jacke abgenommen und ich erhielt eine Garderobenmarke. Es war wie im Theater. Dann traten wir in die große Eingangshalle. Lion stand neben mir, den Mund halb offen. Auch ich war beeindruckt.
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