Ghosts 01 - Ghosthunter
zurück, zog dann weitere heraus und musterte ihre Aufschriften. Sie waren durchnummeriert und stammten alle vom 12. November 1943.
Bei einem Glas hielt er inne:
Probe 565, 12. November 1943, Patient Harvey Douglas Boroughs P05 – Aktennummer: 0345/17. US Navy.
H P05 … Nr. 5!, triumphierte Zachary. Auch Tan hatte das Schild bemerkt und jubelte: „Patient 5! Wir haben ihn.“
Zachary nickte. Endlich hatten sie eine Spur zu Nr. 5. Sie hatten einen Namen: Harvey Douglas Boroughs.
10
„Noch ein Taschentuch?“ Der Koreaner hielt ihr eins hin, aber Chiyo nahm es nicht. Sie drückte an der Beule herum, die der Schlagstock auf ihrer Stirn hinterlassen hatte, und biss die Zähne zusammen.
Der dicke Sicherheitsmann und eine schlanke Frau, die zu viel Make-up trug, hatten sie in einen kleinen Büroverschlag über dem Kaufhaus gebracht. Nachdem sie der Schlagstock getroffen hatte, war sie zusammengebrochen und hatte beinahe den Kunden mit sich zu Boden gerissen. Sie hatten sie eine Stahltreppe hinaufgezerrt, ihren Rucksack durchwühlt und ihre Taschen ausgeleert. Selbst ihre neonfarbenen Turnschuhe mit den zehn Zentimeter hohen Sohlen hatte sie ausziehen müssen. Wie eine Schwerverbrecherin hatten sie Chiyo behandelt, aber nur die lächerlichen Widerstände gefunden.
Ein paar Minuten lang hatte Chiyo geglaubt, sie würden sie mit einer Verwarnung wieder laufen lassen, aber dann hatte der koreanische Wachmann eine Akte aus einem Regal voll Krimskrams gezogen und die Fotos der Mädchen durchgesehen, die schon ein paar Mal im Electro-World geschnappt worden waren.
„Krieg ich meine Kaugummis wieder?“, fragte Chiyo. Wortlos schob der Dicke ihr die Packung Sweety-Gums zu. Chiyo riss das Papier ab, auf dem ein Dinosaurier an einer Rose schnupperte. In der Tat schmeckten die Kaugummis leicht nach Blumen.
„Dein Ausweis ist gut gemacht“, stellte der Koreaner fest. „Wie heißt du wirklich? Oder wollen wir noch warten, bis die Polizei da ist?“
Chiyo schwieg und steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Beiläufig ließ sie ihren Blick durch den Büroverschlag schweifen. Die Make-up-Frau goss sich einen Tee ein und schien nicht an dem Verhör interessiert zu sein. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt einer Reihe von Überwachungsmonitoren, auf denen sie das Geschehen im Elektronikmarkt beobachten konnte. Ab und an zückte sie ihr Funkgerät und gab ihren Kollegen Anweisungen durch.
„Letztes Mal warst du Haruka, dann Yuna und diesmal Tomoko.“ Er musste lächeln. „ Tomoko – Kind der Weisheit. Bisschen hochgegriffen, hm? … Ich werde dich nicht so einfach als eine weitere Ladendiebin abtun. Nein. Ich weiß sowieso nicht, weswegen meine Kollegen sich nie die Mühe gemacht haben, die Fotos zu vergleichen.“ Er nickte zu einem Monitor, auf dem sie vor zehn Minuten im Laden zu sehen war.
Chiyo lächelte. Sollte der Trottel doch weiter schwatzen. Irgendwie würde sie hier schon rauskommen, bevor die Polizei eintraf. Möglichst unauffällig drehte sie sich auf ihrem Bürostuhl und blickte sich um. Sie konnte die Hochhäuser von Shinjuku sehen und Straßenlärm hören. Monitore blendeten alle paar Sekunden neue Ansichten des Marktes ein. Auf einer kleinen Herdplatte, die auf einem Mini-Kühlschrank stand, kochte Teewasser. Die Stahltür zur Treppe, die in den Markt führte, war mit Manga-Postern und harmlosen Pin-ups zugeklebt. Chiyos Blick glitt zurück zur Fensterfront. Wenn sie sich nicht täuschte, waren sie genau über dem Haupteingang des Markts. Maximal drei bis vier Meter über der Straße. Direkt unter der mannshohen Neonreklame und über dem schmalen Vordach.
„Na, da steckst du ganz schön in der Klemme, was, Tomoko? Du hast zwar nur die paar Widerstände geklaut – warum eigentlich? Die kosten doch nichts. Aber dafür droht dir ein Verfahren wegen Dokumentenfälschung. Oder wer hat den für dich gemacht?“ Er wedelte mit dem Ausweis vor Chiyos Nase. Sie ließ eine Kaugummiblase zerplatzen.
Chiyos Freund Takai hatte ihn letztes Jahr für sie angefertigt, damit sie ihn in die Tokioer Clubs begleiten konnte. Takai war ein echter Computerfreak, der gerne die Nächte im Web verbrachte und sich gut auf das Fälschen von Ausweisen verstand. Nur bei Geldscheinen hatte er Hemmungen. Weil er nicht wirklich kriminell werden wollte, wie er ihr einmal gestanden hatte. Was immer auch wirklich kriminell hieß.
Chiyo vermisste ihn. Wie gerne hätte sie Takai jetzt bei sich gewusst, ihn um Rat gefragt oder sich an
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