Gnadenlos (Sara Cooper)
Unterlagen studierte, bemerkte sie, dass ihre Mitreisenden aufgestanden waren, herumliefen und Fotos machten. Langsam erhob sie sich und erkannte die Konturen des Eilands, das näher zu kommen schien. Das Meer veränderte zunehmend die Farbe, sie verlief von Tiefschwarz in ein immer helleres Türkis. Die Palmen rückten näher und Sara bekam den Mund nicht mehr zu. Sie überlegte, wann sie so etwas Schönes schon einmal gesehen hatte, während sie das Schild ‚ Willkommen auf Koh Tao ’ las. Sara atmete tief ein, schnallte ihren Rucksack auf und verließ zusammen mit den anderen Menschen die Fähre. Einheimische kamen ihr entgegen, hielten Zettel mit Tauchangeboten, Mopedverleihen und Unterkünften hoch und redeten wild durcheinander. Sara bahnte sich ihren Weg durch die Menge und stellte sich schattensuchend unter eine Palme. Sie wartete einen Moment, bis sich alles etwas verlaufen hatte, aber von Tom Jackson war nichts zu sehen. Sara überlegte, während sie blinzelnd in die pralle Sonne guckte. Sie wusste nicht, was sie von diesem Privatdetektiv zu halten hatte, aber er war der Einzige, der ihr bei ihrer Suche helfen konnte. Ihre einzige Hoffnung. Sie registrierte jetzt erst, dass sie gar keine Ahnung hatte, wie er überhaupt aussah. Kurz dachte sie darüber nach, ein Schild zu machen. Doch das war nicht mehr nötig. Sara erkannte Tom Jackson sofort, als er sich ihr langsam näherte. Er war ein großer durchtrainierter Mann von mindestens eins fünfundachtzig. Am Körper trug er weite schwarze Shorts und ein weißes T-Shirt. Sein Gesicht war gebräunt und gegerbt von Wind und Sonne.
„Sara Cooper?“, fragte er.
Sie nickte. „Tom Jackson, nehme ich an.“
Er nahm die Sonnenbrille ab, reichte ihr die Hand und nickte ebenfalls. Er hatte große Hände, schwielig und kräftig.
„Genau. Schön, dass wir uns treffen“, sagte er freundlich. Leichte Falten zeichneten sich um seine tiefen grünen Augen ab. Sara hatte ihre Vorurteile in Sekundenschnelle abgelegt. Sie fand Tom Jackson sympathisch.
Kapitel 17
Claire schlug ihre Augen auf. Sie hörte Geräusche neben sich, ein Piepen. Ein gleichmäßiges Piepen von einem Gerät, das neben ihrem Bett stand. Sie lag in einem weißen Zimmer. Die Wände waren weiß und das Bettlaken auch. Claire versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht. In ihrem Arm steckte eine Kanüle, und bei dem Versuch sich aufzusetzen wurde ihr sofort schwindelig. Langsam schlug sie die Bettdecke beiseite und stellte fest, dass sie einen Kittel trug. Einen Krankenhauskittel. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen und beim Abtasten ihres Körpers entdeckte sie einen dicken Druckverband an ihrer Schulter. Sie erinnerte sich an einen dumpfen Knall, dann war sie hingefallen, aber sie hatte keine Ahnung, wie lange das her war. Während sie versuchte, ihre Erinnerungen zu sortieren, ging die Tür auf und ein Arzt betrat den Raum. Er kam langsam auf sie zu und lächelte. „Schön, dass Sie wieder unter uns sind.“ Der Tonfall des Mannes war formell und sehr höflich.
Claire war froh, dass der Arzt ihre Sprache sprach. Auf seinem Namensschild stand „ Jin Su Lee“ . Er musste Mitte bis Ende dreißig sein und sah aus, als wäre er ständig müde, aber Claire erkannte aufrichtige Fürsorge in seinen Augen. „Wo bin ich?“, murmelte sie kaum hörbar, „was ist passiert?“ Ihre Stimme klang, als hätte sie Angst vor der Antwort.
Dr. Lee blickte sie durch eine Brille an, er hielt das Krankenblatt in der Hand. „Sie sind in Chumphon, im Krankenhaus“, teilte er ihr ruhig mit. „Sie hatten großes Glück. Sie sind vor ungefähr zwei Wochen auf Koh Tao gefunden worden. Sie hatten eine Schussverletzung in der Schulter. Die Kugel hat nur ganz knapp Ihr Herz verfehlt, Sie haben viel Blut verloren. Die letzten Wochen lagen Sie im Koma, es sah gar nicht gut aus. Um Sie nach Bangkok zu bringen, war Ihr Zustand zu kritisch.“
Claire verstand nicht. Was war passiert? „Wo ist meine Freundin Mia?“, fragte sie atemlos und versuchte, sich aufzurichten. „Ist sie okay? Und die beiden Jungs, Jared und Ryan?“ Sie sank mit schmerzerfülltem Blick zurück in ihr Kissen.
Der Arzt blickte sie besorgt an und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Immer langsam. Alles in Ordnung?“ Seine dunklen Augen wichen ihren nicht aus. Durch die zugezogenen Vorhänge drang ein wenig Licht.
Claire spannte ihren Kiefer an, während sie ihre Schulter festhielt. „Was ist mit Mia, bitte?!“, wiederholte sie ihre
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