Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
aber keine halbe Stunde früher zu erscheinen.«
»Und? War heute Morgen etwas anders?«, kam Hackenholt auf die ursprüngliche Frage zurück.
Frau Link erzählte, wie die Mitarbeiter üblicherweise gegen die Scheibe klopften und die Filialleiterin sie dann einließ. »Aber heute kam daraufhin niemand aus der Bürotür. Das war der einzige Unterschied. Erst dachte ich, Frau Dorn sei vielleicht am Telefon. Um nicht zu frieren, bin ich auf und ab gegangen. Dabei ist mir dann auch aufgefallen, dass ihr Auto nicht auf dem Parkplatz stand.« Und damit war für Frau Link klar gewesen: Es bestand kein Grund zur Sorge, sondern zur Schadenfreude – auch die Chefin war anscheinend nicht völlig unfehlbar und hatte verschlafen.
Nachdem endlich von allen wartenden Kunden die Personalien aufgenommen und mit Ausnahme des Stellvertreters alle Mitarbeiter nach Hause geschickt worden waren, standen noch drei Fahrzeuge auf dem Firmengelände. Hackenholt sah sich um. Wem konnten die Autos gehören? Anwohnern der umliegenden Häuser, die am Abend zuvor keinen anderen Parkplatz bekommen hatten? Er selbst wusste aus leidvoller Erfahrung, wie schwer es war, in Teilen der Nürnberger Nordstadt eine geeignete Lücke für seinen fahrbaren Untersatz zu ergattern. So idyllisch das Viertel mit seinen gerade in den letzten Jahren so zahlreich renovierten Jugendstil- und Gründerzeithäusern auch war und so gerne er zu Sophie kam, die in einem ebensolchen in der Meuschelstraße wohnte, so sehr hasste er, wenn er ehrlich war, die damit verbundene allabendliche Parkplatzsuche.
Während Hackenholt die Kennzeichen der Wagen notierte, ließ er die Aussagen der Mitarbeiter noch einmal Revue passieren: Übereinstimmend hatten sie angegeben, dass Annika Dorn einen BMW Z3 fuhr. Doch niemand konnte sagen, wo das Fahrzeug an diesem Tag parkte. Hackenholt nahm Berger zur Seite und bat ihn, in den umliegenden Straßen nach dem Sportwagen zu suchen.
»Frank, kommst du bitte mal?« Christine Mur winkte den Kriminalisten ungeduldig zu sich. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Gemeinsam gingen sie durch den Kassenraum zum Büro. Ohne dass Hackenholt es wahrgenommen hatte, war die Tote mittlerweile weggebracht worden.
»Guck mal, was ich in der Aktentasche gefunden habe.«
Mur deutete auf den Schreibtisch. Wie meistens benutzte sie auch jetzt dazu einen ihrer unzähligen Kugelschreiber. Für die Kriminaltechnikerin waren sie zu einer natürlichen Verlängerung ihrer Finger geworden. Auf dem Tisch lagen, in einem Asservatenbeutel sauber verpackt, mehrere Hundert- und Fünfzig-Euro-Scheine.
»Wie viel ist das?«, wollte Wünnenberg wissen, der den beiden gefolgt war.
»Eintausend Euro.«
»Frau Dorn scheint also keine finanziellen Probleme gehabt zu haben, oder trägt einer von euch so viel Geld spazieren?«
»Sie wollte morgen in den Urlaub fahren«, wandte Hackenholt ein. »Eine Kreuzfahrt durch die Karibik. Die zahlt man nicht in bar.«
»Das Geld kann vieles bedeuten«, mischte sich Mur ein. Ihr war anzumerken, wie wenig sie von derlei Spekulationen hielt. »Dass es lose in einem Fach der Aktenmappe steckte, finde ich viel auffälliger.«
»Was war sonst noch in der Tasche?«
»Das Übliche.« Sie richtete den Kuli auf einen kleinen Berg, der sich auf dem Schreibtisch türmte. »Schlüsselbund, Geldbeutel, Schminksachen.«
Als Hackenholt aus dem Portemonnaie den Personalausweis herausschauen sah, griff er danach und blickte auf das Geburtsdatum. Rasch rechnete er nach: Annika Dorn war nur sechsunddreißig Jahre alt geworden.
»Ein Handy war nicht dabei?«
Mur schüttelte ungeduldig den Kopf; sie hasste überflüssige Fragen.
»Gibt es einen Terminkalender?«
»Nur einen geschäftlichen mit Einträgen von Lieferterminen, Filialleitersitzungen und Bestellerinnerungen. Derlei Dinge eben. Die Spalte für heute ist leer.«
»Hast du irgendeinen Hinweis auf den Täter gefunden?«
»Hier?« Mur schüttelte wieder den Kopf. »Ich glaube, er ist gar nicht bis ins Büro gekommen. Zumindest gibt es keinerlei Anzeichen dafür.«
»Können wir einen Raubüberfall ausschließen?« Hackenholt ging im Kopf die bisher bekannten Fakten durch.
Wünnenberg schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ist es dafür nicht noch ein bisschen zu früh?«
In diesem Moment wurden sie vom Klingeln des Telefons unterbrochen.
***
Anneliese Urban war Anfang sechzig und seit zwei Jahren verwitwet. Den Aushilfsjob als Regalauffüllerin beim prima-Discounter hatte sie nicht aus
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