Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt.”
“Aber beim Bart des Propheten!” rief einer der jungen Leute, “das sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es sein berühmter Trauertag; wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der Scheik ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand.”
“Urteilet Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?” fragte der Alte lächelnd. “Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet!”
“So ist er gefunden?” riefen die Jünglinge und freuten sich.
“Nein, und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder zehen Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speisete und tränkte, da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen und im Sterndeuten. Der trat, als er gestärkt war durch die milde Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: ?Ich kenne die Ursache deines Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der Trauer wird dir zum Festtag werden; denn wisse: an diesem Tag wird einst dein Sohn zurückkehren!? So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde für jeden Muselman, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde anlangen.”
“Wunderbar!” erwiderte der Schreiber. “Aber zusehen möchte ich doch, wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er sich von seinen Sklaven erzählen läßt.”
“Nichts leichter als dies”, antwortete der Alte. “Der Aufseher der Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu vier, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf diesen Platz, und ich will euch Antwort geben.”
So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten sich, voll Begierde, zu sehen, wie sich dies alles begeben würde.
Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er sie durch mehrere Gänge, bis sie in den großen Saal kamen. Hier war ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten; da waren Sklaven aller Art und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf den Teppich der Freude zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die Ali Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war. Der Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen.
Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward
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