Heiratsmarkt
Abscheu, ihr affektiertes Gekicher war ihm genauso zuwider wie ihre Erscheinung. Ein hässliches Mädchen, das bald ein vierschrötiges Gesicht bekommen würde. Louisa würde sie nie jemandem anhängen können.
Louisa und Augusta steckten die Köpfe zusammen. Au-gusta erkundigte sich über die Merrivilles und drückte milde ihre Überraschung aus, als sie erfuhr, dass Louisa es auf sich genommen hatte, die Anstandsdame für sie zu spielen. „Meine liebe Augusta, ich habe es für meine Pflicht gehalten", erläu-tcrte Lady Buxted. „Vernon stand da und wusste nicht weiter, wie du dir denken kannst. Das sah Fred Merriville wieder einmal ähnlich, ihm die ganze Familie anzuhängen! Wenn ich ihn nicht errettet hätte - ich weiß nicht, was aus den Mädchen geworden wäre! Ihre Tante ist nämlich sehr exzentrisch - ein großer Blaustrumpf, weißt du - und hasst es, in Gesellschaft zu gehen."
Lady Jevington nahm diese Erklärung mit sichtlicher Skepsis auf. „Ach nein, wirklich?", staunte sie. „Wie dankbar dir Alvcrstoke sein muss! Und wie sehen sie aus? Zweifellos sehr schön!"
„O meine Liebe! Ich habe nur die Ältere kennengelernt -ein recht gut aussehendes Mädchen, aber als Schönheit würde ich sie kaum bezeichnen. Ich glaube, die jüngere Schwester ist die hübschere von beiden. Vernon, hast du mir nicht erzählt, dass Miss Charis Merriville hübsch ist?"
„Sehr wahrscheinlich", antwortete er. „Ich jedenfalls halte sie für hübsch. Du musst mir erzählen, was für einen Eindruck sie auf dich macht, liebe Louisa!"
In diesem Augenblick meldete Wicken Miss Frederica Merriville und Miss Charis Merriville. Lady Buxted brauchte ihrem Bruder nicht zu erzählen, was für einen Eindruck Charis auf sie machte, denn die Antwort stand ihr deutlich ins Gcsicht geschrieben.
Frederica betrat den Saal etwas vor ihrer Schwester, blieb einen Augenblick stehen und sah sich schnell um. Sie machte einen ausgesprochen eleganten Eindruck. Zwar konnte selbst das alexandrinische Käppchen sie nicht im Geringsten wie eine Witwe aussehen lassen, doch der Schnitt ihres orangenblütenfarbenen Kreppkleides mit dem Leibchen im Wiener Stil, der um die Ellbogen drapierte Schal aus Albany-Gaze, das Glitzern der Diamanten um den Hals, vor allem aber ihre ruhige Sicherheit zeigten deutlich, dass sie kein Mädchen in seiner ersten Blüte mehr war und sich auch nicht dafür hielt.
Eher bot sie das Bild einer jungen verheirateten Frau, die schon eine mehrjährige Erfahrung hinter sich hatte.
Nur wenige Sekunden war sie den prüfenden Blicken der Verwandten ihres Gastgebers ausgesetzt, und nicht sie war es, welche den verschiedenen Gesprächen mit einem Schlag ein Ende setzte. Es war Charis, die, als sie den Raum hinter ihr betrat, die versammelte Gesellschaft verblüfft verstummen ließ, sogar den unerschütterlichen Lord Buxted veranlasste, mitten während eines Satzes abzubrechen, und Lord Jeving-ton sich fragen ließ - wie er nachher seiner gestrengen Vis-countess gestand ob er wirklich an einer Gesellschaft im Alverstoke-Palais teilnahm oder aber schlief und träumte.
Lady Jevington, eine gerechte Frau, machte ihm daraus keinen Vorwurf: Miss Charis Merriville war fraglos die Verkörperung eines Traums. Ein schlankes Schneewittchen, ganz in Weiß, mit Maiglöckchen im leuchtenden Haar und keiner Spur Farbe an sich außer dem Gold ihrer Locken, dem tiefen Blau ihrer Augen und dem zarten Rosa der Wangen und Lippen. Man konnte keinem Mann einen Vorwurf machen, wenn er dachte, er erblicke eine himmlische Vision. Und überdies noch erlesen gekleidet!, dachte Ihre Gnaden und schenkte ihre stumme Billigung dem schlanken, dreiviertellangen Tüllkleid, das von Perlenrosetten geschlossen wurde -
die, hätte sie es nur gewusst, in einem faszinierenden Laden im Pantheon-Basar beschafft worden waren - und das über einem Unterkleid aus schimmerndem elfenbeinfarbenen Satin getragen wurde. Der einzige Schmuck, den Charis trug, war die einfache, von ihrer Mutter geerbte Perlenkette - genau das Richtige für ein Mädchen in seiner ersten Season, wie Lady Jevington später zugeben musste.
Ebenso wenig wie die Lady ihren Herrn und Gebieter wegen einer Begeisterung tadelte, die seinen Jahren durchaus nicht anstand, tadelte sie auch nicht ihren flatterhaften Sohn, den Ehrenwerten Gregory Sandridge, weil ihm der Mund offen stand und sein Blick gebannt an dem Mädchen
hing. Es war in jeder Hinsicht reizend. Da ihre Anna ja schon standesgemäß verlobt
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