Hetzer & Kruse 01 - SchattenHaut
ihre Armbeuge.
„Das ist eine Butterflykanüle und das hier eine Spritze. Am besten, du kommst nicht näher.“
„Mica, bitte, zieh das Ding wieder raus. Was soll das?“„Es wird mir einen mehr oder weniger angenehmen Tod bescheren. Heute ist doch Heiligabend, oder nicht? Da gibt es eine Bescherung.“
„Mach das nicht, Mica. Wir finden eine Lösung. Glaub mir!“
„Leeres Psychologengeschwätz. Die einzige Lösung, die es für mich gibt, ist hier in der Spritze. Hältst du mich für so dumm? Glaubst du, ich wüsste nicht, dass ich ins Gefängnis muss oder in die geschlossene Abteilung? In welches würdet ihr mich denn stecken? In das für Männlein oder Weiblein? Ich bin nichts von beidem.“
„Ist das der Grund, warum diese Menschen sterben mussten?“
„Menschen? Das waren Ungeheuer. Der Pfarrer, für den es nur schwarz oder weiß gab, Benno – Vaters Freund, der ihm geraten hat, mich Missgeburt operieren zu lassen. Die vom Jugendamt, die den anderen nach dem Mund geredet hat. Sie haben über mich bestimmt, ihre Zustimmung oder ihren Rat zu meiner Kastration gegeben. Mit welchem Recht? Ich habe nicht einmal gewusst, was mit mir passiert. Mir haben sie erzählt, ich hätte Knoten, die entfernt werden müssten. Und ich habe ihnen geglaubt. Dabei haben sie mich zu einem Nichts gemacht. Und mich später mit Hormonen vollgepumpt, weil ich Brüste kriegen sollte, damit es niemandem auffiel.“
„Das ist wirklich ganz schlimm, Mica, aber du hattest auch nicht das Recht, selbst Justiz zu spielen. Gerade du nicht.“
„Was verstehst du denn schon davon? Du hättest es nicht mal bemerkt, wenn du mit mir geschlafen hättest. Viermal haben sie mich operiert und ständig geweitet, damit ich wenigstens Sex haben kann. Hättest du dich – dies alles wissend – mit mir eingelassen?“
Hetzer schwieg, er überlegte, aber eine ehrliche Antwort war schwer. Er wusste es nicht.
„Siehst du!“, sagte sie und nahm die Spritze in die Hand.
„Nein, Mica, tu das nicht. Was ist da überhaupt drin?“
„Bienengift. Für mich in der Dosis auf jeden Fall tödlich.“
Hetzer zog sein Handy aus der Tasche und wählte 112.
„Hetzer, Kripo Rinteln, einen Krankenwagen, bitte schnell, es ist dringend, zum Luhdener Klippenturm. Starke Bienengiftallergie.“
„Sie sind sich schon sicher, was sie sagen? Wir haben Winter.“
„Keine Diskussion. Ein Rettungswagen, sofort.“
Mica begann zu summen und spielte mit der Spritze. Hetzer tat einen Schritt vor.
„Vergiss es, Wölfchen. Wir wären ein schönes Paar gewesen. Hätten gemeinsam jagen können. Aber ich gehe in keinen Käfig. Bis dein Rettungswagen hier ist, bin ich nicht mehr zu retten. Wenn ich schon nicht in Würde leben konnte, lass mich bitte wenigstens in Würde sterben. Das ist mein letzter Wunsch!“
Mit diesen Worten drückte sie den Kolben in die Spritze und lehnte sich zurück.
Hetzer band die Hündin am Zaun fest und rannte zu Mica.
„Keine Panik, mein grauer Geselle, es wird sehr schnell gehen. Das Jucken hat schon begonnen.“
Als sie begann, nach Luft zu schnappen und sich zu übergeben, nahm er sie in die Arme. Sie wehrte sich nicht.
„Das hättest … du … schon mal … früher … tun sollen …“
Schweiß stand ihr auf der Stirn, sie sackte in sich zusammen.
„Mica, komm, nicht aufgeben!“
Er riss sich die Jacke vom Körper, wickelte sie um Mica und legte sie auf den Boden. Auf seine Mütze bettete er ihren Kopf, die Beine hoch auf die Sitzfläche der Bank, auf der sie gerade noch gesessen hatte. Ihre Augen waren vor Angst geweitet. Von Ferne hörte er jetzt das Martinshorn. Sie waren unterwegs. Er streichelte die kalte Wange, auf einmal schloss sie die Augen.
In diesem Moment traf ihn der Schein von zwei Taschenlampen. Dickmann und Hofmann, die sofort auf Seppis Notruf reagiert hatten, rannten so schnell sie konnten durch den Schnee auf ihn zu.
„Los, zieht eure Jacken aus, wir müssen sie warmhalten. Sie hat einen Schock. Hat sich selbst Bienengift gespritzt. Sie ist hochallergisch.“
Als sich der Krankenwagen trotz der Schneeketten mühsam um die letzte Ecke zum Turm quälte, froren drei Kommissare in der Nacht, die eigentlich eine heilige sein sollte.
Glücklicherweise lag die Butterflykanüle noch und war sogar durchgängig, sodass der Notarzt sofort einen Zugang zu ihrer Vene hatte. Jede Sekunde war entscheidend. Micas Blutdruck war aber bereits so stark abgefallen, dass er sich nicht zu einer Aussage hinreißen
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