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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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sie sich umdrehte, sah sie, wie eines der Autos am Straßenrand anhielt. Die verlorene, vermisste Hand zeichnete winkend eine Mondsichel in die Luft und verschwand schließlich in dem brennenden Auto. Der Wagen entfernte sich, und aus dem Inneren trat kreischend das Prasseln eines verkohlenden Körpers
. (Anna, warum will ich dir eine solche Erinnerung geben? Es ist, als wünschte ich mir, dass alles, was dir wichtig ist, in einem Wagen verbrennt. Am Ende bliebe nur ich übrig, als Phönix in deiner Asche. Aber bleib ruhig. Es ist nur ein böser Traum. Hab keine Angst. Es ist nur ein böser Traum.)
    Am Morgen nach ihrer peinlichen Pirouette erwachte Anna und warf den Kopf im Kissen hektisch hin und her, so als müsste sie sich versichern, nun endlich aufgewacht zu sein. Sie stand auf und trat ans Waschbecken, um sich mit energischen Bewegungen eiskaltes Wasser ins Gesicht zu schöpfen. Die Kälte vertrieb den Traum, was blieb, war die Erinnerung an den roten Schein am gelben Helm des Feuerwehrmannes, der ihr auf der Autobahn die Hand gereicht hatte. Die behandschuhte Hand war kalt und nass, und die Nacht war lila. Blau von den Lichtern der Einsatzfahrzeuge und rot von dem schwachen Glühen eines eben noch brennenden Autos
.
    Als sie es schließlich schaffte, die Bilder aus ihrem Kopf zu vertreiben, musste sie an Hannes denken. Schlaftrunken tappte sie aus dem Badezimmer und kramte in den Taschen ihrer Jacke nach dem Telefon. Sie erwartete sich keine Nachricht, aber sie hoffte darauf. Sie wäre gerne neben ihm aufgewacht, auch wenn es unmöglich schien. Es war, als wollte man einen verstreichenden Moment konservieren. Hannes war ein Vampir. Ein Fabelwesen, nicht zu fassen. Er wäre selbst auf einem Foto unsichtbar gewesen. Sie fragte sich, ob es überhaupt möglich war, neben Hannes aufzuwachen. Er hätte sich dagegen gesträubt, den Morgen abzuwarten. Er hätte nicht erlaubt, dass man ihn festlegte. Wahrscheinlich wäre es ihm sogar unmöglich gewesen, längere Zeit in einem Haus zu leben. Selbst ein Land würde ihm auf die Dauer nicht reichen. Er langweilte sich schnell. Und was wäre dann schon ihr Bett, dachte Anna, nichts anderes als eine Raststätte. Ein kurzer Zwischenstopp auf dem Weg nach weit weg
.
    Anna nahm das Telefon und stand auf. Noch während sie sich fertig anzog, wählte sie Hannes’ Nummer. Niemand antwortete ihr
.
    Kurz darauf verließ sie die Wohnung. Sie vergaß erneut den Müllsack, den sie vor Tagen neben der Eingangstür abgestellt hatte. Als sie die Tür hinter sich schloss, fiel er im Inneren der Wohnung um. Ein zusammengeknülltes Stück Plastik fiel heraus und begann sich unter leisem Knistern aufzufalten. Dieses Knistern hatte etwas sehr Intimes – niemand hatte es gehört
.
    Anna erinnerte sich daran, wie sie Hannes zum ersten Mal gesehen hatte. Obwohl die Erinnerung schon Jahre zurücklag, erschien sie immer noch frisch und plastisch. Sie erinnerte sich an den Weg durch die Gänge der neuen Schule, sie erinnerte sich an den Geruch, der in der Luft lag und dem man entweder in Krankenhäusern oder in Schulen begegnete. Schon zum zweiten Mal wechselte sie die Schule. Sie wusste, wie es sein würde, in die neue Klasse zu treten. Selbst den Gedanken daran hasste sie. Sie stellte sich vor, wie die Blicke an ihr hinunterwandern würden wie Hände misstrauischer Käufer am Gemüseregal. Diese Blicke ließen Dellen zurück. Als sie schließlich beim neuen Klassenzimmer angekommen war, blickte sie automatisch zu Boden, sie fixierte die Fliesen. Ihre Hand suchte blind nach der Klinke, verfehlte sie und beschrieb zweimal eine sichelförmige Bahn, bevor es ihr gelang, die Tür zu öffnen
.
    Als sie im Raum stand und wieder hochsah, war Hannes das Erste, was sie sah. Er stach heraus, sah sitzend so aus, als stünde er aufrecht in der Mitte einer leeren Ebene. Hannes war das ruhige Zentrum eines Wirbelsturms. Anna erinnerte sich, dass sie sich in diesen Sturm fallen ließ wie in ein weiches Netz. Erst später begriff sie, was Hannes von allen anderen unterschieden hatte. Seine Augen waren ihr nicht begegnet. Er war der Einzige, der sie nicht angesehen hatte. Seine Augen berührten sie nicht. Er verströmte absolute Sicherheit, als wäre ihm diese nur ein simples Accessoire, ein Parfum, das er sich morgens auflegte
.
    Hannes’ Reaktion ließ in der Mitte des Raumes einen Sog entstehen, der Anna einfach schluckte. Die prüfenden Blicke der Klasse lösten sich darin auf. Und während sie sich zuerst

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