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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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erschrocken: »Du weinst ja, Jurij! Um Himmels willen, warum denn?«
    »Na, weil das Jahr 1961 eben ein so besonders historisches Jahr ist für mich und ein paar hundert andere und für Sowjetunion. Ab mit uns nach Kasakstan, Wüsten bewässern«, murmelte Jurij und ließ seine Tränen fließen wie’s Bächlein auf der Wiesen.
    »Reg dich nicht auf!« sagte Jakob mitfühlend und klopfte Jurij auf den breiten Rücken. »Was auch immer schon wieder passiert ist,
ich
bin jetzt da! Nicht verzagen, Formann fragen! Was ist also schon wieder passiert?«
    » DX 330«, schluchzte Jurij.
    »Was DX 330?« fragte Jakob streng. Hier mußte er streng sein zu seinem Freund, sonst heulte der immer weiter, und kostbare Zeit ging verloren.
    »Haben wir nicht! Und in vier Tagen wird das Werk eröffnet, und Genosse Vorsitzender Ministerrat Chruschtschow kommt. Und da soll das Werk vollen Betrieb haben. Und ohne DX 330 können wir vollen Betrieb nicht aufnehmen, können wir gar keinen Betrieb aufnehmen und jetzt sag mir bloß noch, in Kasakstan gibt es die schönsten Mädchen der Sowjetunion!« Jurij heulte jetzt nicht mehr. Er war nur noch sehr verbittert. »Weißt du, was DX 330 ist?«
    Jakob streckte sich.
    »Jurij, mir tun alle Knochen weh. Das war ein verflucht weiter Flug hierher. Ich bin gekommen, so schnell es gegangen ist, um dir zu helfen. Aber jetzt mach mich nicht wahnsinnig! Ich will nicht wissen, was DX 330 ist, denn das weiß ich selber! Das ist ein Schweröl, das ihr bei der Plastikproduktion braucht. Wissen will ich, wieso ihr, Himmel, Arsch und Zwirn, das auch schon wieder nicht habt!«
    Jurij Blaschenko sagte gramvoll: »Weil die Zentrale Planungsstelle in Moskau es zu einem Eisenkombinat weit hinter dem Ural geschickt hat und weil die dort schon damit arbeiten. Irgendein Idiot hat wieder einmal falsch geplant.«
    »Reg dich nicht auf, Jurij, Idioten gibt’s überall.« Jakob gähnte. »Sollen die in Moskau euch doch anderes DX 330 schicken.«
    »Können Sie nicht!«
    »Können sie nicht?« Jakob runzelte die Augenbrauen.
    »Nicht im Moment! Haben sich völlig verausgabt – und uns völlig vergessen. Für uns sind sie lieferfähig erst wieder in drei Wochen. Und in vier Tagen kommt Towaristsch Chruschtschow!«
    »Ach, du liebe Scheiße!« Jakob setzte sich auf die unterste Stufe der Gangway. In der Dunkelheit sah er, auf einem Hügel der Stadt, herrlich weiß leuchtend das Riesenwerk, angestrahlt von vielen Scheinwerfern. Sein Riesenwerk! »Ausschauen tut das Ding ja wirklich schön!« meinte er.
    »Nur Betrieb aufnehmen kann es nicht«, ächzte Jurij und setzte sich neben Jakob. Dann sagte er einen sehr langen und sehr komplizierten russischen Fluch auf.
    »Vollkommen meiner Ansicht«, sagte Jakob. »Und wo kriegen wir jetzt das Schweröl her?«
    »Die Rumänen hätten es«, antwortete Jurij mit erstickter Stimme.
    »Na also, dann nix wie her damit!«
    »Leicht gesagt. Gheorghiu-Dej.«
    »Was heißt hier Gheorghiu-Dej?«
    »Das ist Genosse Vorsitzender des Staatsrats Sozialistische Republik Rumänien.«
    »Na und?«
    »Na und, fragt er!« Jurij rang die Hände. »Mit dem Kerl haben wir täglich mehr Ärger.«
    »Wieso?«
    »Weil er eine Politik betreibt, die sein Land mehr und mehr von Moskau entfernt. Wenn wir den Gheorghiu-Dej jetzt um Schweröl bitten, kriegt der nur einen Lachanfall!«
    »Das werden wir erst mal sehen«, sagte Jakob, erhob sich und stolperte die Gangway wieder hinauf.
    »Wohin willst du?« erkundigte sich Jurij alarmiert.
    »Wie heißt die Hauptstadt von Rumänien?« fragte Jakob neugierig. In Geographie hatte er immer nur Pintsche gehabt.
    »Bukarest, Trottel!«
    »Dann will ich jetzt sofort nach Bukarest«, gab Jakob freundlich winkend bekannt.

3
    Der Flughafen von Bukarest heißt Bǎneasa.
    Die wichtigsten staatlichen und militärischen Behörden sind in mehreren riesigen Gebäuden auf dem Platz der Republik im Innern der Hauptstadt der Republica Socialista România untergebracht. Im rechten Winkel zu ihnen steht die Halle der Republik.
    Jakobs ›Superconstellation‹ landete in den ersten Morgenstunden des 5. Mai 1961 auf dem Flughafen Bǎneasa. Besatzung und Passagier schliefen sofort tief und traumlos ein. Jakob, sportgestählt und körperlich einfach nicht zu schaffen (sowie im Besitz einer Uhr mit Läutwerk), erwachte Punkt 7 Uhr 30. Er wusch und rasierte sich an Bord, zog einen anderen Anzug an, ließ die Besatzung pennen und fuhr mit einem Taxi in die Stadt.
    Um 9 Uhr 05 saß Jakob

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