Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
mich frei, und in der Jungenschule hat Sir Amjad ein großes Poster, auf dem ich zu sehen bin, über den Eingang gehängt. Jeden Morgen begrüßt er mich gleichsam, ehe er sein Büro betritt.
Bei unseren Internet-Telefonaten beschreibe ich Moniba das Leben in England. Ich berichte ihr von den Straßen, in denen alle Häuser nahezu gleich aussehen, nicht wie bei uns, wo eine Hütte aus Lehm und Steinen direkt neben einem Haus stehen kann, das groß ist wie ein Schloss. Ich erzählte ihr, dass diese Häuser in Birmingham zwar bei Überflutungen und Erdbeben sicher wären, aber keine Dächer zum Spielen haben. Und ich erzähle ihr, dass ich England mag, weil die Menschen hier sich an Regeln halten, Polizisten mit Respekt behandeln und alles immer pünktlich passiert. Die Regierung hat die Macht, und niemand kennt den Namen des Armeechefs. Frauen üben hier Berufe aus, die im Swat unvorstellbar wären. Sie arbeiten als Polizistinnen und im Sicherheitsdienst. Sie leiten große Firmen und kleiden sich, wie sie wollen.
An das Attentat denke ich nicht oft, obwohl ich täglich daran erinnert werde, wenn ich in den Spiegel sehe. Die Nervenoperation hat viel gebracht, aber ich werde nie wieder so sein wie vorher. Ich kann nicht vollständig blinzeln, und beim Sprechen geht oft mein linkes Auge zu. Hidayatullah, der Freund meines Vaters, sagte, wir sollten stolz darauf sein: »Das ist die Schönheit ihres Opfers.«
Man weiß immer noch nicht genau, wer auf mich geschossen hat, doch ein Mann namens Autallah Khan hat sich zu dem Anschlag bekannt. Die Polizei hat ihn nicht aufspüren können, aber es heißt, es werde ermittelt und man wolle mich befragen.
Obwohl ich mich nicht genau daran erinnern kann, was an jenem Tag geschah, habe ich manchmal Flashbacks. Sie kommen völlig unerwartet. Der schlimmste passierte im Juni in Abu Dhabi, als wir auf dem Weg nach Saudi-Arabien waren, um die Umra , die kleine Pilgerreise, zu unternehmen. Mit meiner Mutter war ich in einem Einkaufszentrum unterwegs, weil sie sich extra eine Burka kaufen wollte, um in Mekka zu beten. Ich wollte keine, sondern nur meinen Schal tragen, weil für Frauen eine Burka nicht zwingend vorgeschrieben ist. Als wir durch das Einkaufszentrum liefen, sah ich mich plötzlich von vielen Männern umgeben. Ich dachte, sie würden mich gleich mit Waffen bedrohen und anschließend auf mich schießen. Obwohl ich schreckliche Angst hatte, sagte ich nichts. Innerlich sagte ich zu mir: »Malala, du hast dem Tod bereits ins Auge geblickt. Dies ist dein zweites Leben, hab keine Angst. Wenn du Angst hast, kannst du nicht weitermachen.«
Mit meiner Mutter in Medina.
Wir glauben daran, dass der allererste Anblick der Kaaba, jenes schwarz umhüllten Quaders in Mekka, der unser Allerheiligstes ist, dafür sorgt, dass Gott einem den Wunsch erfüllt, den man im Herzen trägt. Als wir an der Kaaba beteten, beteten wir für Frieden in Pakistan und für die Schulbildung von Mädchen, und ich war selbst erstaunt, als mir die Tränen kamen. Doch als wir die Kaaba wieder verließen und zu den anderen heiligen Stätten in der Wüste fuhren, wo der Prophet gelebt und gepredigt hatte, war ich entsetzt, weil alles mit Plastikflaschen und Papier übersät war. Die Menschen hatten offensichtlich überhaupt keinen Sinn für die Bewahrung ihrer Kultur. Sie hatten wohl den Hadith vergessen, der besagt, dass Sauberkeit der halbe Glaube ist.
Meine Welt hat sich so sehr verändert. In den Regalen unseres Wohnzimmers stehen Auszeichnungen aus aller Welt – aus Amerika, Indien, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich und noch vielen anderen Ländern. Ich bin sogar tatsächlich für den Friedensnobelpreis nominiert worden – als jüngste Nominierte aller Zeiten. Die Auszeichnungen für meine Schulleistungen haben mich damals glücklich gemacht, weil ich hart dafür gearbeitet habe, aber das hier ist etwas anderes. Ich bin dafür dankbar, doch sie erinnern mich auch, wie viel noch getan werden muss, damit jeder Junge und jedes Mädchen eine gute Schulbildung erhält. Ich möchte nicht als »das Mädchen, auf das die Taliban geschossen haben« bekannt sein, sondern als »das Mädchen, das für Bildung kämpft«. Dieser Sache will ich mein Leben widmen.
An meinem 16. Geburtstag war ich in New York und habe vor den Vereinten Nationen gesprochen.
Sich hinzustellen und in dem riesigen UNO -Saal eine Rede zu halten, wo schon so viele Führer der Welt gesprochen hatten, war einschüchternd.
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