Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
»Ich bin zwölf«, antwortete ich und streckte mich noch ein paar Zentimeter. »Sehr verehrter Herr Botschafter, ich bitte Sie, sorgen Sie dafür, dass wir Mädchen wieder zur Schule gehen dürfen.« Er lachte. »Ihr habt doch ohnehin schon so viele Probleme, und wir tun wirklich viel für euch«, antwortete er. »Wir haben Milliarden an Wirtschaftshilfen geleistet. Wir arbeiten mit eurer Regierung zusammen, damit die Versorgung mit Strom und Gas besser wird. Aber euer Land hat ziemlich viele Probleme.«
Ich gab auch dem Radiosender Power 99 FM ein Interview. Die Leute vom Sender fanden es gut, und sie boten uns an, dass wir alle in ihrem Gästehaus in Abbottabad wohnen könnten. Abbottabad war nicht nur ein großer Militärstandort, sondern auch berühmt für seine Schulen. Wir blieben eine Woche dort, als ich zu meiner Freude hörte, dass auch Moniba, einer von unseren Lehrern und eine weitere Freundin in der Stadt seien. Moniba und ich hatten seit unserem Streit am letzten Schultag vor dem Beginn unseres Flüchtlingsdaseins nicht mehr miteinander gesprochen. Wir machten aus, uns in einem Park zu treffen. Ich kaufte für sie Pepsi-Cola und Kekse. »Schuld warst nur du«, sagte sie. Ich gab ihr recht. Ich wollte einzig und allein, dass wir wieder Freundinnen waren.
Unsere Woche im Gästehaus ging bald zu Ende, und wir fuhren weiter nach Haripur, wo eine meiner Tanten lebte. Das war unsere vierte Station in zwei Monaten. Aber wir waren immer noch besser dran als die Flüchtlinge in den Camps, die stundenlang unter der sengenden Sonne um Wasser und Hilfsgüter anstehen mussten. Dennoch: Ich hatte fürchterliches Heimweh nach unserem Tal.
Meinen zwölften Geburtstag feierte ich als IDP . Niemand dachte an diesen Tag, nicht einmal mein Vater, der alles Mögliche um die Ohren hatte. Ich nahm das ziemlich krumm. Wie viel anders war doch mein elfter Geburtstag gewesen! Zusammen mit Freundinnen hatte ich meinen Geburtstagskuchen aufgegessen, der Raum war mit Luftballons dekoriert gewesen. Damals hatte ich mir dasselbe gewünscht, was ich mir auch jetzt zu meinem zwölften Geburtstag wünschte, nur gab es diesmal keine Kerzen, die ich hätte ausblasen können. Ich wünschte mir Frieden für unser Tal.
Teil III
Drei Mädchen, drei Kugeln
Sir de pa lowara tega kegda
Praday watan de paki nishta balakhtona.
O Wanderer! Bette dein Haupt aufs steinige Pflaster.
In der Fremde bist du – nicht in der Stadt deiner Könige!
16
Das Tal des Schmerzes
E s schien alles wie ein böser Traum. Fast drei Monate waren wir von unserem Tal fort gewesen. Als wir den Churchill Picket, einen Wachturm, auf dem Berg hinter uns ließen und an den Ruinen und dem großen buddhistischen Stupa vorüberfuhren, sahen wir den breiten Swat-Fluss vor uns liegen, und mein Vater begann zu weinen. Das Swat-Tal schien zur Gänze vom Militär besetzt zu sein. Selbst das Auto, in dem wir unterwegs waren, wurde nach Sprengstoff durchsucht, bevor wir den Malakand-Pass überqueren durften. Kaum waren wir auf der anderen Seite im Tal angelangt, konnten wir die Kontrollpunkte der Armee an allen Ecken und Enden ausmachen. Auf den Dächern hatten die Soldaten Scharfschützennester eingerichtet.
Als wir durch die Dörfer fuhren, sahen wir überall Schutt, eingestürzte Häuser und ausgebrannte Autos. Die Szenerie erinnerte mich an alte Kriegsfilme oder an die Videospiele, die mein Bruder Khushal so gern spielt. Als wir dann endlich in Mingora ankamen, waren wir entsetzt: so viel Zerstörung. Wo Taliban und Armee sich Straßenkämpfe geliefert hatten, zeigte jede Mauer Einschusslöcher vom Kugelhagel wie Pockennarben. Unter den Trümmern der von den Taliban gesprengten Gebäude, hinter denen sich die Kämpfer verschanzt hatten, lagen Haufen von verbogenen Metallteilen und umgeknickte Straßenschilder. Die meisten Geschäfte hatten schwere Rollläden aus Metall, alle Läden ohne diesen Schutz waren ausgeplündert. Die Stadt war still und ohne Leben. Keine Menschen, kein Verkehr, als habe eine Seuche alles Leben ausgelöscht. Am merkwürdigsten war zweifellos der Anblick des großen Busbahnhofs gleich hinter der Stadtgrenze von Mingora. Normalerweise drängen sich auf dem Platz Busse und Rikschas, jetzt aber war er vollkommen leer gefegt, und aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen spross Gras. Noch nie hatten wir unsere Stadt so gesehen.
Aber zumindest war nichts von den Taliban zu bemerken.
Wir schrieben den 24 . Juli 2009 . Vor einer Woche
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