Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Händen über den Einband, fächere die Seiten auf.
Das muss ich jeden Tag machen
.
Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich bin sicher, dass da ein schreckliches Versehen vorliegt, und doch kann das nicht sein. Die Beweise sind da – in dem Spiegel oben, in den Falten an den Händen, die das Album vor mir streicheln. Ich bin nicht der Mensch, für den ich mich hielt, als ich heute Morgen aufwachte.
Aber wer war das?
, denke ich. Wann war ich diese Person, die im Bett eines Fremden aufwachte und nur an Flucht dachte? Ich schließe die Augen. Ich habe das Gefühl zu schweben. Haltlos. In Gefahr, verlorenzugehen. Ich muss mich irgendwie verankern. Ich schließe die Augen und versuche, mich auf etwas zu konzentrieren, irgendetwas Greifbares. Ich finde nichts. So viele Jahre meines Lebens, denke ich. Einfach weg.
Dieses Album wird mir sagen, wer ich bin, aber ich will es nicht öffnen. Noch nicht. Ich möchte eine Weile hier sitzen, meine gesamte Vergangenheit ein leeres Blatt. Im Schwebezustand, irgendwo zwischen Möglichkeit und Tatsache. Ich habe Angst davor, meine Vergangenheit zu erkunden. Was ich erreicht habe und was nicht.
Ben kommt zurück und stellt ein Tablett vor mir ab. Toast, zwei Tassen Kaffee, ein Kännchen Milch. »Alles in Ordnung?«, fragt er. Ich nicke.
Er setzt sich neben mich. Er hat sich rasiert, trägt Hose, Hemd und Krawatte. Er sieht nicht mehr wie mein Vater aus. Jetzt sieht er aus, als würde er in einer Bank arbeiten oder in irgendeinem Büro. Aber nicht schlecht, denke ich, dann schiebe ich den Gedanken beiseite.
»Ist das jeden Tag so?«, frage ich. Er legt eine Toastscheibe auf einen Teller, bestreicht sie mit Butter.
»So ziemlich«, sagt er. »Möchtest du auch?« Ich schüttele den Kopf, und er nimmt einen Bissen. »Du scheinst Informationen speichern zu können, solange du wach bist«, sagt er. »Aber dann, wenn du schläfst, geht das meiste verloren. Schmeckt dir der Kaffee?«
Ich bejahe, und er nimmt mir das Album aus den Händen. »Das hier ist eine Art Sammelalbum«, sagt er und schlägt es auf. »Vor ein paar Jahren hat es bei uns gebrannt, und dabei haben wir viele alte Fotos und Sachen verloren, aber hier drin ist noch so einiges.« Er zeigt auf die erste Seite. »Das ist dein Abschlusszeugnis«, sagt er. »Und das ist ein Foto von dir auf deiner Abschlussfeier.« Ich schaue hin. Auf dem Bild lächele ich, blinzele in die Sonne, ich trage ein schwarzes Gewand und einen Filzhut mit einer goldenen Quaste. Dicht hinter mir steht ein Mann in Anzug und Krawatte, den Kopf von der Kamera abgewandt.
»Bist du das?«, frage ich.
Er schmunzelt. »Nein. Ich hab meinen Abschluss nicht zur selben Zeit gemacht wie du. Damals hab ich noch studiert. Chemie.«
Ich schaue zu ihm hoch. »Wann haben wir geheiratet?«, frage ich.
Er dreht sich zu mir und nimmt meine Hand mit beiden Händen. Ich bin ein wenig überrascht, wie rau seine Haut ist, vermutlich noch an die Weichheit der Jugend gewöhnt. »In dem Jahr, nachdem du deinen Doktor gemacht hattest. Da waren wir schon ein paar Jahre zusammen, aber du – wir – wir wollten beide warten, bis du mit der Promotion fertig warst.«
Klingt sinnvoll, denke ich, obwohl es mir ein wenig zu vernünftig vorkommt. Ich frage mich, ob ich überhaupt wild darauf war, ihn zu heiraten.
Als könnte er meine Gedanken lesen, sagt er: »Wir waren sehr verliebt«, und schiebt dann nach: »Wir sind es noch immer.«
Dazu fällt mir nichts ein. Er lächelt. Er trinkt einen Schluck Kaffee, ehe er wieder das Album auf seinem Schoß mustert. Er blättert ein paar Seiten weiter.
»Du hast englische Literatur studiert«, sagt er. »Dann hast du verschiedene Jobs gehabt, nach der Uni. Nur Gelegenheitsjobs. Als Sekretärin. Verkäuferin. Ich glaube, eigentlich wusstest du nicht so recht, was du machen wolltest. Ich hab meinen Bachelor gemacht und dann eine Lehrerausbildung. Ein paar Jahre lang mussten wir uns ziemlich nach der Decke strecken, aber dann bekam ich eine Beförderung, und na ja, so haben wir’s bis hierher geschafft.«
Ich schaue mich im Wohnzimmer um. Es ist elegant, behaglich. Bürgerliche Langeweile. Über dem Kamin eine gerahmte Waldlandschaft, neben der Uhr auf dem Kaminsims Porzellanfigürchen. Ich frage mich, ob ich diese Deko mit ausgesucht habe.
Ben redet weiter. »Ich unterrichte an der Mittelschule, hier ganz in der Nähe. Ich bin jetzt Fachbereichsleiter.« Er sagt das ohne einen Anflug von Stolz.
»Und ich?«, frage ich, obwohl
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