Ich hasse dich - verlass mich nicht
Borderline-Persönlichkeitsstörung, von denen die eine die (psychologischen) Entwicklungswurzeln betont, die andere die anlagebedingten (biologischen und genetischen) Ursprünge, spiegeln dieses Dilemma wider.
Eine dritte theoretische Kategorie ist ebenfalls von Bedeutung. Sie konzentriert sich auf die größeren Umwelt- und soziokulturellen Faktoren, beispielsweise unsere schnelllebige, bruchstückhafte Gesellschaftsstruktur, die Auflösung der Kleinfamilie, hohe Scheidungsraten, eine größere Bereitschaft, tagsüber Kinderkrippen und Kindertagesstätten zu nutzen, höhere geografische Mobilität und die sich verändernde Rolle der Frau (siehe Kapitel 4). Obwohl empirische Untersuchungen in Bezug auf diese Umwelteinflüsse noch begrenzt sind, spekulieren viele Fachleute, dass diese Faktoren das Auftreten der Borderline-Persönlichkeitsstörung noch steigern werden.
Die vorhandenen Beweise weisen auf keine bestimmte Ursache oder Art der Ursache der Erkrankung hin. Es ist eher eine Kombination aus genetischen, neurobiologischen und sozialen Faktoren und aus Faktoren in der frühkindlichen Entwicklung, die zu der Krankheit beitragen.
Genetische und neurobiologische Wurzeln
Untersuchungen von Familien legen nahe, dass Verwandte ersten Grades von Borderline-Persönlichkeiten mit sehr viel häufigerer Wahrscheinlichkeit Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung, insbesondere der Borderline-Persönlichkeitsstörung, zeigen als die Allgemeinheit. Bei diesen engen Familienmitgliedern ist es zudem sehr viel wahrscheinlicher, dass sie Stimmungs- und Impulsstörungen sowie Suchtverhalten aufweisen. 58 Es ist unwahrscheinlich, dass ein Gen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung beiträgt. Vielmehr werden wie bei den meisten medizinischen Störungen bei der Entwicklung der von uns so bezeichneten Borderline-Persönlichkeitsstörung viele Chromosomenloci, wahrscheinlich beeinflusst von Umweltfaktoren, aktiviert oder unterdrückt.
Biologische und anatomische Wechselbeziehungen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung wurden demonstriert. In unserem Buch Zerrissen zwischen Extremen erörtern wir detaillierter, wie bestimmte Gene sich auf Neurotransmitter auswirken (dabei handelt es sich um Hormone im Gehirn, die Nachrichten zwischen den Gehirnzellen übermitteln). 59 Fehlfunktionen bei einigen dieser Neurotransmitter wie Serotonin, Norepinephrin, Dopamin und anderen werden mit Impulsivität, Stimmungsstörungen und anderen Merkmalen der Borderline-Persönlichkeit in Zusammenhang gebracht. Diese Neurotransmitter wirken sich auch auf das Gleichgewicht der Adrenalin- und Steroidproduktion im Körper aus. Einige Gene, die diese Neurotransmitter beeinflussen, wurden mit mehreren psychiatrischen Krankheiten in Verbindung gebracht. Doch Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen zeigen, dass mehrere Gene (zusammen mit Umweltstressoren) zum Ausdruck der meisten medizinischen und psychiatrischen Störungen beitragen.
Der häufige Missbrauch von Nahrung, Alkohol und anderen Drogen, der typischerweise als selbstzerstörerisches Verhalten interpretiert wird, könnte auch als Versuch betrachtet werden, innere emotionale Unruhe durch Selbstmedikation zu behandeln. Borderline-Persönlichkeiten berichten häufig von der beruhigenden Wirkung der Selbstverletzung. Statt Schmerz zu verspüren, erleben sie beruhigende Erleichterung oder Ablenkung von inneren psychologischen Schmerzen. Selbstverletzung kann wie jedes andere körperliche Trauma oder Stress zur Freigabe von Endorphinen führen, bei denen es sich um die natürlichen, narkoseähnlichen Substanzen des Körpers handelt, die während des Gebärens, bei körperlichen Traumata, beim Langstreckenlauf und anderen körperlich belastenden Aktivitäten Erleichterung bringen.
Änderungen im Stoffwechsel und in der Morphologie (oder Struktur) des Gehirns werden ebenfalls mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung korreliert. Borderline-Patienten zeigen Hyperaktivität in dem Teil des Gehirns, der der Emotionalität und Impulsivität zugeordnet wird (limbische Bereiche), und verringerte Aktivität in dem Bereich, der rationales Denken und die Regulierung von Emotionen steuert (der präfrontale Kortex). (Ein ähnliches Ungleichgewicht wird bei Patienten beobachtet, die unter Depressionen und Angst leiden.) Zudem werden Volumenänderungen in diesen Teilen des Gehirns ebenfalls mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung in Verbindung gebracht und stehen im Zusammenhang mit diesen physiologischen
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