Ich liebe mich
Wichtiges, ist flüchtig zärtlich und gewissenhaft bei fliegenden Pulsen. Keiner hat den anderen bei Tisch sitzen sehen, aber jeder gibt vor, gefrühstückt zu haben. Anette und die Etonboys gehören wirklich zur Familie. Dem Vater der Braut ist wie bei einer Geburt zumute. Er fühlt sich zerschlagen, obwohl er gut geschlafen hat, kann nichts helfen, nichts ändern, trifft harte Entscheidungen in Randfragen, denkt, was Brautväter denken, während er vor dem Spiegel steht und sich glättet, merkt, daß er denkt, was Brautväter denken, versucht sich abzulenken, merkt auch hier die Absicht, nicht zu denken, was Brautväter denken, läßt die Sentimentalität strömen, wodurch ihm seine Überflüssigkeit noch deutlicher wird. Da haben es Mutter und Tochter besser. Ihnen ist die Mode gnädig, hält sie auf und ab, die Hände in Bewegung an Kleid, Accessoires, Frisur.
Erst in der Sakristei, wo sie sich zum Einzug versammelten, nahm er seinen festen, wenn auch passiven Platz ein. Immer wieder sagte er Sie zu den Schwiegerleuten, immer wieder betrachtete er sein Kind, das in wenigen Minuten nicht mehr sein Kind sein würde, merkte nicht, wie er die kirchliche Zeremonie als eigentlichen Wendepunkt verstand.
In der Betriebsfeieratmosphäre auf dem Standesamt, als sie den Ehevertrag Unterzeichneten, hatten keine Gefühle seine Gedanken beeinflußt.
Ach ja
Ungefähr zweihundert geladene Gäste erwarteten den Einzug unter den Orgelklängen des berühmten Professors, viel Gesellschaft, Freunde, Bekannte, viel Nerz, viel Mercedes, viele Chauffeure, Repräsentanten aus dem Werk, von Staat und Stadt.
Der Vater führte die Braut herein in die mit Gelb und Grün gesättigte Halle, grün der Jungfernkranz auf ihrem Haar, weiß die geweitete, durch Schneiderkünste schmaler als noch vor Monaten erscheinende Taille, Blumen streuende Mädchen voraus, die als Etonboys verkleideten Mehlwürmer trugen die Schleppe. Hinter Braut und Vater die Mutter mit dem untersetzten Pfeffges, Detlef im Cut mit seiner schon jetzt weinenden guten Mutter, Anette mit bartlosem Golo und weitere Mainzer Verwandtschaft. Und über allem die Orgel.
Vaterraunen im dröhnenden Grand jeu.
»Gott mit dir, Kleines! Wenn je etwas sein sollte, ich bin immer für dich da.«
Er möchte sie erinnern, an alles, was sie verbindet.
Sie drückt seine Hand.
»Ist gut, Papi.«
Gegendruck. Festhalten.
Gott befohlen — nur wer seinen Fahrtwind kennt weiß wohin er fährt — von Nietzsche glaub ich — jetzt bleibt noch Golo — will sein Fest für sich — recht hat er — alles peu à peu — der Pfarrer hätte sich die Zähne richten lassen sollen — ach ja — jetzt muß ich sie hergeben — Kleines Liebes machs besser als deine Eltern
In der ersten Reihe sitzen die Brauteltern, ihre Blicke hängen wie Halteleinen an dem jungen Paar auf den kleinen Samtstühlchen. Die verkleideten Mehlwürmer haben die Schleppe drapiert, als dekorierten sie seit Jahren Schaufenster für die Haute Couture. Kinder sind in feierlichen Augenblicken mitunter die sichersten Akteure.
Bibelworte mit Persönlichem verwebend spricht der Pfarrer, frei, schielt nur gelegentlich nach dem Spickzettel in der Heiligen Schrift. Die Inszenierung läuft wie ein sparsam bearbeiteter Klassiker. Das Paar erhebt sich, vernimmt den überfordernden Text von der Treue bis in den Tod. Da greift der Brautvater nach der Hand seiner Frau.
»Jetzt werden wir alt.«
»Ich hätte nichts dagegen«, kommt ohne Blick ihre Antwort. Sie verweilt bei der Tochter, er dreht sich halb um: wieder das Wort Treue, das Schröder, zwei Bänke hinter ihm, zum Anlaß nimmt, Frau Schröder die Hand zu küssen.
Die zweimal zwei folgenschweren Buchstaben sind heraus. Machtvoll rollt die Orgel; Frau Pfeffges nimmt den Arm des Brautvaters. Tränen wegwischend. Gefaßt folgt er mit ihr der Abstand gebietenden Schleppe, der Schleppe von Frau Stephanie Pfeffges.
Sie treten hinaus in die grelle neue Wirklichkeit; das Ohr wird umgebettet vom Orgelton auf Blech. Flott klingt der Egerländer Marsch, mit dem die Betriebskapelle das Brautpaar empfängt. Schwerfällig gruppieren sich die von den beiden Liebenden zu Verwandten Geschlagenen auf der Treppe, Fotoapparate klicken, eine Kamera surrt, Hochrufe und ganz hinten am Trottoirrand Hilde mit Monika.
Die Abfahrt der Wagen hat Festspielformat.
»Ei du, da winkt dir jemand!«
Mutter Pfeffges deutet zum Fenster. Draußen steht eine stattliche Dame mit Hut. Alois versenkt mit
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