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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Junge heimlich in der Bibliothek seines Vaters durchgeblättert hatte. Er trank Cognac. Auch an autogenes Training dachte er. Zu Hause gab es irgendwo eine Broschüre darüber. Wenn nachts das Würgen im Hals zum Husten reizte und seine Frau aus ihrem Zimmer herüberkam, war sofort alles gut. Es gab kein besseres Schlafmittel als eine besorgte Frau.
    Er nimmt die Hand vom Puls.
    Hundertsiebenundvierzig — soviel war’s noch nie — ach was man hat so seine Zeiten — wir sitzen zu viel und essen zu schwer — ob ich tanze — nicht dran denken nicht dran denken
    »Da sind wir wieder!« sagte seine Frau in vertraulichem Plural, als trete sie, von einem Spaziergang zurückgekehrt, über die Schwelle. Der Pirat machte seinem Kostüm zum Trotz einen zuverlässigen Eindruck. Er sei Psychotherapeut, sagte sie beiläufig. Wie jedes Jahr kam der ellenlange blondgelockte Brockhoff als Vollmatrose und holte sie zum Tanz. Als die Musiker zu neuem Stimmungsvollzug ansetzen, bleiben zwei in der Loge zurück. Man könnte reden, könnte sogar Du zueinander sagen, weil doch Fasching ist, aber grüner Domino und Pirat heben nur die Gläser, trinken einander zu, um gemeinsam zu schweigen.
    Seine Frau winkt; das Herz sticht ein wenig beim Einatmen; man müßte sich ablenken. Vielleicht doch tanzen, sich an die Jugend halten.
    »Ja«, denkt er laut, ohne den Piraten anzusehen: »Unser Herrgott hat schon einen bunten Garten!«
    Die rothaarige Frau des ellenlangen Vollmatrosen tanzt vorbei: Weiße Haut, die nicht bräunt, lila Schenkel. Sie macht Verrenkungen. Offenbar möchte sie lasziv wirken. Sein Herzstechen hat aufgehört, er nickt der Vorbeitanzenden zu. Sie dankt mit der Hüfte.
    Er wendet sich dem Piraten zu. Was er denn halte von dem Treiben? Als Therapeut. Der Beruf lasse einen Mann doch nie ganz los. Zumal ein so interessanter. Sei der Fasching nun für die guten Ehen da oder für die schlechten? Was werde hier im Grunde an Zeit vertan mit Scheingefechten, aus der schützenden Gewißheit, daß man am Ende doch mit dem gleichen Partner nach Hause fahre, mit dem man gekommen ist. Man könne meinen, die Leute wüßten, wie lange sie zu leben haben, daß sie sich diesen Luxus leisten. Er selbst würde geiziger disponieren. Auch wenn er wüßte. Er muß husten. Sei ja kein Wunder bei der Luft. Der Pirat nickt verständnisvoll. Es krampft im Hals, der Mund füllt sich mit Speichel. Er läßt Champagner dagegen laufen. Glücklicherweise kommt seine Frau, lenkt ihren Vollmatrosen unmerklich zu der Empiredame. Frage im Flüsterton, als sie neben ihm sitzt:
    »Wie seh ich aus?«
    Sie drückt seine Hand. Es könnte ein liebevoller Druck sein, aber er hat sie im Verdacht, daß er seinem Puls gilt. Und der klopft bis in die Schläfen. Kein Wunder nach dem Husten. Kein Wunder, daß er ihrer Antwort mißtraut.
    »Der Prototyp eines gesunden Wirtschaftsführers« — dieser Satz, mit mütterlich-beschwichtigendem Lächeln vor gebracht, wirkt alarmierend. Es bedarf großer Konzentration auf ein rosiges Motiv, das sich in der Nebenloge darbietet, um einen Schweißausbruch zu verhindern.
    Ach ja — mit niemand kann man reden — kein Mensch nimmt Notiz
    Eine neue Kapelle lärmt mit frischer Kraft. Grüner Domino und Pirat trinken einander zu, schauen und schweigen.
    Die mollige Neugier Brockhoff mit den lila Schenkeln wird auf der überquellenden Amüsierscheibe vorbeigedreht, lächelt herauf aus dem Arm des weißhaarigen Senators, schnaubend vor Temperament wie ein bunt bemaltes Karussellpferdchen. Und den Senator freut’s. Willig vollführt er Hampelmannbewegungen, ohne Anzeichen von Anstrengung oder Atemlosigkeit. Beim Anblick des ungleichen Paares wendet sich der grüne Domino an den Piraten.
    »Darf ich Sie etwas fragen?«
    Der Pirat nickt.
    »Das wird Sie interessieren«, ebnet sich der grüne Domino die Einfahrt zum Thema, ohne das ungleiche Paar aus dem Auge zu lassen. »Ich beschäftige mich mit einer Beobachtung und hätte da gerne mal ein fachliches Urteil gehört, kurzum: es betrifft einen Bekannten, Kollegen, Freund, wenn Sie so wollen, nobler Handelsmann, dynamischer Führungsstil, dabei vom alten Schlag, Offizier gewesen, leitet seinen Betrieb nach eisern moralischen Grundsätzen. Und auf einmal, es ist jetzt zwei Wochen her, er hält eine Rede, und mittendrin bekommt er einen Schweißausbruch, zum Glück hat’s niemand bemerkt, Schweiß gilt ja bei uns als Zeichen des Einsatzes. Er sprach sehr engagiert, sogar der

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