Im Schatten der Pineta
dessen Augen jetzt leise Beunruhigung verrieten. Es war nicht zu übersehen, dass ihm davor graute, nach Hause zu gehen: Gewiss fühlte er sich in der Rolle des effizienten Mediziners wohler als in der des mitfühlenden Freundes.
»Das Problem ist, dass ich es Arianna sagen muss.«
Genau, dachte Massimo.
»Wollen Sie das tun?«, fragte Massimo. Was für eine idiotische Frage, aber er brachte es einfach nicht fertig, weiter schweigend dazustehen, während Dr. Carli zum soundsovielten Mal seine Brille putzte. An die zwei Meter groß, um die fünfzig, mit seinem grau melierten Haar und der gelassenen Miene entsprach er genau dem Bild des Gerichtsmediziners am Tatort. Entfernt erinnerte er Massimo an Guccini, da er sich auf diesem Parkplatz ebenso in seinem Element zu fühlen schien wie der Musiker auf der Bühne. Er habe sich in aller Eile anziehen müssen, wie immer, sagte er, noch dazu sei er erst spät von einem Empfang zurückgekommen und habe nur wenig geschlafen.
»Nun ja … Es wird mir wohl kaum etwas anderes übrig bleiben. Die Arme. Das heißt, die beiden Armen.«
Er schien sich sehr viel mehr Sorgen um die Mutter zu machen als um die Tochter. Aber das war ja auch verständlich: Die Mutter, die einen Teil des Sommers in Pineta verbrachte, war eine alte Freundin von ihm. Die Tochter hingegen hatte er wohl nur flüchtig gekannt, gingen die jungen Leute (Ariannas Tochter, der Sohn von Dr. Carli und andere Jugendliche aus dem Ort) doch meist ihrer eigenen Wege. Ausgerechnet die dröhnende Stimme von Kommissar Fusco, der in Massimo stets beunruhigende Gefühle weckte, war es, die ihn aus der unangenehmen Situation erlöste.
Wie es der Zufall wollte, hatte er mit ebenjenem Dr. Carli vor nicht allzu langer Zeit über Fusco gesprochen: Sie waren sich einig darin gewesen, dass es beinahe menschenunmöglich war, auch nur einen Funken Sympathie für den »Dottor Commissario«, wie Fusco gern genannt werden wollte, aufzubringen. Nachdem sie außerdem übereingekommen waren, dass Vinicio Fusco überempfindlich, arrogant, dickköpfig, überheblich und eitel war, hatte Dr. Carli abschließend den Satz geprägt: »Dieser Mann ist ein wandelndes Buch mit Witzen über Kalabresen.«
Und Massimo, der dieser Schlussfolgerung voll und ganz zugestimmt hatte, musste sich jedes Mal, wenn er an Fusco dachte, fragen, ob er vielleicht unter Rimediottis Einfluss bereits auf dem besten Wege war, rassistisch zu werden. Doch dann tröstete er sich mit einer Episode aus seiner Studentenzeit in Pisa. Damals hatte ein Freund von ihm, ein Sizilianer, von dem man alles behaupten konnte, nur nicht, dass er rassistische Neigungen hegte, im Zustand der Trunkenheit ein »Phantombild für den perfekten Idioten« entworfen und unter anderen sicheren Identifikationsmerkmalen, an die Massimo sich nicht mehr erinnern konnte, auch Ingenieur, Juventus-Fan und Kalabrese aufgeführt.
Wie auch immer, jetzt jedenfalls erschien der Kommissar im richtigen Augenblick. Gut gelaunt – man konnte sehen, dass er seine Arbeit liebte, vor allem, wenn er sie vor Publikum ausüben durfte –, trat er unvermittelt hinter die beiden.
»Also, Walter, verraten Sie mir alles: Alter, Geschlecht, Zeitpunkt des Todes, Ursache und sonstige Auffälligkeiten.«
Den Blick auf seine Schuhspitzen gerichtet, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, begann der Dottore: »Alter neunzehn, Geschlecht weiblich – nicht, dass für diese Erkenntnis ein Arzt nötig gewesen wäre –, Zeitpunkt des Todes ungefähr vor zwei bis fünf Stunden, und das war’s auch schon. Sonstige Auffälligkeiten: Die Welt ist voller Scheißkerle.«
Fusco war beeindruckt. Höchstwahrscheinlich hatte er vergessen, dass Dr. Carli die Tote gekannt hatte. Einen Moment lang stand er reglos da, den Unterkiefer vorgeschoben und die Hände in die Hüften gestemmt, ehe er zu dem Schluss kam, dass es besser war, sich geschäftig zu zeigen, statt weiter den Idioten zu geben. Er bellte die Fotografen an, dass er die Abzüge noch im Laufe des Morgens haben wolle, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den dunkelgrünen Clio, der in der Nähe des Containers abgestellt war und dessen rechte Räder halb in einem Schlammloch versunken waren.
»Und was macht der da?«
Er ging zu dem Fahrzeug, blickte durch das Seitenfenster in das Innere und machte ein Gesicht, als wäre ihm alles klar. Er zeigte auf einen Polizisten und winkte ihn mit einer Geste zu sich.
Massimo beobachtete amüsiert, wie der lange
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