Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
nicht auf einen öffentlichen Raum, sondern auf andere Windows. Darin unterscheiden sich die digitalen Medien von den Massenmedien wie Radio oder Fernsehen. Medien wie Blogs, Twitter oder Facebook entmediatisieren die Kommunikation. Die heutige Meinungs- und Informationsgesellschaft beruht auf dieser entmediatisierten Kommunikation. Jeder produziert und sendet Information. Die Entmediatisierung der Kommunikation lässt die Journalisten, diese ehemals elitären Repräsentanten, diese »Meinungsmacher« ja die Priester der Meinung, gar als überflüssig und anachronistisch erscheinen. Das digitale Medium schafft jede Priesterklasse ab. Die allgemeine Entmediatisierung beendet die Epoche der Repräsentation. Heute will jeder selbst direkt präsent sein und seine Meinung ohne jeden Intermediator präsentieren. Die Repräsentation weicht der Präsenz oder der Kopräsentation.
Der zunehmende Entmediatisierungsdruck erfasst auch die Politik. Er bringt die repräsentative Demokratie in Bedrängnis. Die politischen Repräsentanten erscheinen nicht als Transmitter, sondern als Barrieren. So äußert sich der Entmediatisierungsdruck als Forderung nach mehr Partizipation und Transparenz. Gerade dieser medialen Entwicklung verdankt die Piratenpartei ihren anfänglichen Erfolg. Der zunehmende Präsenz-Zwang, den das digitale Medium erzeugt, bedroht allgemein das Prinzip der Repräsentation.
Repräsentation funktioniert oft wie ein Filter, der einen sehr positiven Effekt erzeugt. Er wirkt selektierend und macht das Exklusive möglich. Mit einem anspruchsvollen Programm leisten etwa Verlage kulturelle, geistige Bildung. Sie kultivieren die Sprache. Journalisten setzen sogar ihr Leben aufs Spiel, um qualifizierte Berichte zu schreiben. Die Entmediatisierung dagegen führt in vielen Bereichen zu einer Vermassung. Sprache und Kultur verflachen sich. Sie werden vulgär. Die amerikanische Erfolgsautorin Bella Andre bemerkt: »Ich kann meine Bücher schnell raushauen. Ich muss nicht erst Agenten von meinen Ideen überzeugen. Ich kann genau das Buch schreiben, das meine Leser wollen. Ich bin meine Leserschaft.« 12 Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen »Ich bin meine Leserschaft« und »Ich bin meine Wählerschaft«. »Ich bin meine Wählerschaft« bedeutet das Ende des Politikers im emphatischen Sinne, nämlich jenes Politikers, der auf seinem eigenen Standpunkt beharrt und, statt mit der Wählerschaft konform zu gehen, ihr mit einer Vision vorausgeht. Die Zukunft als Zeit des Politischen verschwindet.
Die Politik als strategisches Handeln bedarf einer Informationsmacht, nämlich einer Souveränität über Produktion und Verteilung von Information. Sie kann daher auf jene geschlossenen Räume nicht ganz verzichten, in denen Informationen bewusst zurückgehalten werden können. Vertraulichkeit gehört notwendig zur politischen, das heißt, strategischen Kommunikation. Wird alles sofort öffentlich, so wird die Politik unausweichlich kurzatmig, kurzfristig und verdünnt sich zur Geschwätzigkeit. Die totale Transparenz zwingt der politischen Kommunikation eine Zeitlichkeit auf, die eine langsame, langfristige Planung unmöglich macht. Es ist nicht mehr möglich, Dinge reifen zu lassen. Die Zukunft ist nicht die Zeitlichkeit der Transparenz. Die Transparenz ist von Präsenz und Präsens beherrscht.
Unter dem Diktat der Transparenz werden abweichende Meinungen oder ungewöhnliche Ideen gar nicht erst zur Sprache gebracht. Es wird kaum etwas gewagt. Der Imperativ der Transparenz erzeugt einen starken Konformismuszwang. Er lässt wie die permanente Videoüberwachung das Gefühl entstehen, beobachtet zu werden. Darin besteht sein panoptischer Effekt. Letzten Endes kommt es zu einer Gleichschaltung der Kommunikation oder zur Wiederholung des Gleichen: »Die ständige mediale Beobachtung führte dazu, dass wir [Politiker] nicht frei waren, auch mal provokative oder unpopuläre Themen und Positionen in einer vertraulichen Runde offen zu diskutieren. Sie müssen nämlich immer damit rechnen, dass es jemanden gibt, der das an die Medien weitergibt.« 13
Der Autor Dirk von Gehlen, der ein kollektives Buchprojekt Eine neue Version ist verfügbar mit Crowdfunding finanzieren lässt, erhebt den Anspruch, das Schreiben selbst transparent zu machen. Was ist das aber für ein Schreiben, das ganz transparent wäre? Für Peter Handke ist das Schreiben eine einsame Expedition. Es bricht ins Unbekannte, ins Unbegangene auf.
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