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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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plötzlicher und vielleicht peinlicher Mißton aus unserer Stimmung auf. Zwei Menschen schritten nicht weit voneinander in der Prozession einher: mein Freund Mr. Donat – Donat-Rimarau, »Donat, der Vielhändige«, der stellvertretende Vizegouverneur, der gegenwärtigeBeherrscher des Archipels, bei weitem die wichtigste Persönlichkeit der ganzen Szene, der außerdem wegen seiner unerschütterlichen Gutmütigkeit bekannt war, und eine hübsche, robuste junge Paumotin, die hübscheste, aber hoffentlich nicht die tapferste und höflichste der ganzen Insel. Ganz plötzlich, ehe noch das feierliche Schweigen des Begräbnisses gebrochen war, sprang sie auf den Gouverneur zu, zeigte mit dem Finger auf ihn, schrie ihm ein paar Worte ins Gesicht und trat, in unnatürliches Gelächter ausbrechend, wieder zurück. »Was hat sie Ihnen gesagt?« fragte ich. »Sie hat gar nicht zu mir gesprochen,« entgegnete ein wenig beunruhigt Donat, »sie sprach zu dem Geiste des Toten.« Und der Inhalt ihrer Rede war etwa folgender: »Sieh da! Donat wird heut Nacht einen fetten Bissen für dich abgeben!«
    »Mr. Donat nannte es einen Scherz«, schrieb ich damals in mein Tagebuch. »Mir erschien es aber weit eher einer aus Angst geborenen Beschwörung zu gleichen, als ob sie dadurch des Geistes Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken versuchte. Ein Kannibalenvolk kann sehr wohl auch kannibalische Gespenster besitzen. Gemeinhin scheinen die Vermutungen von Reisenden von vornherein dazu verurteilt, auf Irrtümern zu beruhen, die meinige hatte diesmal jedoch den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Weib hatte voller Entsetzen dem Begräbnis beigewohnt, da sie sich in jenem Augenblick zufällig an einem gefürchteten Ort, dem Kirchhof, befand. Mit Entsetzen sah sie der kommenden Nacht entgegen, in der jener Dämon, der neue Geist, auf die Insel losgelassen werden sollte. Die Worte,die sie Donat ins Gesicht schleuderte, waren in der Tat eine angsterfüllte Beschwörung, in der niedrigen Absicht, sich selbst zu schützen und gemeinerweise den anderen an ihre Stelle zu setzen. Das eine läßt sich zu ihrer Entschuldigung anführen. Sicherlich hatte sie Donat teils wegen seiner übergroßen Gutmütigkeit gewählt, teils aber auch, weil er ein Halbblut war. Denn soviel ich weiß, halten alle Eingeborenen das Blut der Weißen für einen Talisman gegen die Mächte der Hölle. Auf keine andere Art vermögen sie die ungestrafte Tollkühnheit der Europäer zu erklären.«
Zweites Kapitel. Friedhofsgeschichten
    Meinen abergläubischen Freunden, den Polynesiern gegenüber, bin ich, fürchte ich, nicht immer ganz aufrichtig gewesen, denn häufig gab ich als erster irgendeine Mär zum besten, und stets war ich ein ernsthafter, mitunter aber auch ein aufgeregter Zuhörer. Allein dieser kleine Betrug dürfte nicht sehr schwer wiegen, da es mir ebenso viel Freude machte, zuzuhören, wie ihnen, zu erzählen, und da ich so viel Gefallen an den Geschichten fand, wie sie an ihrem Aberglauben. Außerdem ist ein derartiger Betrug durchaus notwendig, denn es ist kaum möglich, die Vielseitigkeit und Macht ihres Aberglaubens zu übertreiben. Er formt ihr ganzes Leben und beeinflußt ihr Denken von Grund aus. Wenn sie nicht von Gespenstern, Göttern und Teufeln sprechen, spielen sie die Heuchler und reden nur mit den Lippen. Angesichts einer so völlig verschiedenen Gedankenwelt ist man gezwungen, auf die anderen Rücksicht zu nehmen, und mir ist es lieber, ich pflege ihren Aberglauben, als daß sie meine Ungläubigkeit nähren. Von einem bin ich außerdem überzeugt: mag ich ihnen noch so sehr nachgehen, niemals werde ich den ganzen Umfang ihres Aberglaubens kennenlernen, denn stets sind sie vor Leuten meinesgleichen auf der Hut, und ihre Sagenwelt ist schier unerschöpflich.
    Ich will hier nur einige willkürliche Beispiele anführen,die ich in der Hauptsache auf meiner eigenen Türschwelle auf Upola im vergangenen Monat (Oktober 1890) erfuhr. Einer meiner Arbeiter wurde kürzlich nach dem Bananenhain geschickt, um dort zu graben. Der Hain lag in einer Senke zwischen den Bergen tief in den Wäldern verborgen, außer Sicht- und Rufweite von Menschen, und lange vor der Abenddämmerung stand Lafaele mit verlegener Miene bereits wieder neben der Küche: er hätte nicht gewagt, länger zu bleiben, er fürchte sich vor den Geistern im Busch. Es scheint, daß es die Seelen der unbegrabenen Toten sind, die sich dort aufhalten, wo sie starben, und jetzt die Formen von allerlei

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