In einer kleinen Stad
mehr«, sagte Alan Pangborn. Er küßte sie sanft auf die Wange. »Das gehört in die Dunkelheit. Soll die Dunkelheit es davontragen.«
Sie überfuhren die Kuppe des View und gelangten auf der anderen Seite auf die Route 119. Castle Rock war hinter ihnen verschwunden; die Dunkelheit hatte auch die Stadt davongetragen.
SIE WAREN SCHON EINMAL HIER
Aber sicher doch. Sicher. Ein Gesicht wie Ihres vergesse ich nie.
Kommen Sie herüber, lassen Sie mich Ihre Hand schütteln! Wissen Sie, ich habe Sie schon am Gang erkannt, noch bevor ich Ihr Gesicht gesehen habe. Sie hätten sich keinen besseren Tag für Ihre Rückkehr nach Junction City aussuchen können, die hübscheste kleine Stadt in Iowa – zumindest auf dieser Seite von Ames. Sie dürfen lachen – es sollte ein Witz sein.
Können wir uns ein Weilchen hinsetzen? Vielleicht hier auf diese Bank vor dem Kriegerdenkmal? Die Sonne scheint warm, und von hier aus kann man praktisch das gesamte Geschäftsviertel überblicken. Sie müssen nur wegen der Splitter aufpassen; die Bank steht hier, seit Hektor in den Windeln lag. Und nun schauen Sie dort hinüber. Nein – ein bißchen mehr nach rechts. Das Gebäude, dessen Fenster zugekalkt sind. Das war früher Sam Peebles Büro. Ein Grundstücksmakler, und ein verdammt guter obendrein. Dann hat er Naomi Higgins von drunten von Proverbia geheiratet, und sie sind weggezogen, so wie die jungen Leute das heute meistens tun.
Das Gebäude hat mehr als ein Jahr lang leergestanden – die Wirtschaftslage ist katastrophal, seit die Geschichte im Mittleren Osten losgegangen ist -, aber jetzt hat irgend jemand es endlich übernommen. Und es hat deswegen eine Menge Gerede gegeben, das kann ich Ihnen versichern. Aber Sie wissen ja, wie das so ist; in einer kleinen Stadt wie Junction City ist die Eröffnung eines neuen Geschäfts so etwas wie eine Sensation. Und so, wie es aussieht, kann es auch nicht mehr lange dauern; die letzten Handwerker haben am Freitag ihr Werkzeug zusammengepackt und sind gegangen. Also, was ich glaube, ist...
Wer?
Ach, sie. Das ist Irma Skillins. Sie war Direktorin der Junction City High School – wie ich gehört habe, die erste Frau, die in diesem Teil des Staates einen solchen Posten innegehabt hat. Sie ist vor zwei Jahren in Pension gegangen, und wie es aussieht, hat sie sich auch von allem anderen zurückgezogen – Eastern Star, Töchter der Amerikanischen Revolution, Junction City Players. Sogar aus dem Kirchenchor soll sie ausgetreten sein. Ich nehme an, das liegt zum Teil an ihrem Rheumatismus – der macht ihr mächtig zu schaffen. Sehen Sie, wie schwer sie sich auf ihren Stock stützt? Wenn es erst einmal soweit gekommen ist mit einem Menschen, dann tut er so ziemlich alles, was ihm ein wenig Erleichterung verschafft.
Sehen Sie sich das an! Sie betrachtet den neuen Laden ganz genau, nicht wahr? Nun, warum auch nicht? Sie mag alt sein, aber tot ist sie noch nicht, bei weitem nicht. Außerdem kennen Sie vermutlich das Sprichwort: Es war Neugierde, die die Katze umbrachte, aber Befriedigung, die sie ins Leben zurückholte.
Ob ich das Schild lesen kann? Aber sicher kann ich das! Ich habe zwar seit zwei Jahren eine Brille, aber die brauche ich nur zum Lesen; auf größere Entfernung sehe ich besser als je zuvor. In der obersten Zeile steht EROFFNUNG DEMNÄCHST, und darunter ANSWERED PRAYERS – EINE NEUE ART VON LADEN. Und die unterste Zeile – warten Sie eine Minute, sie ist ein bißchen kleiner – die unterste Zeile lautet: Sie werden Ihren Augen nicht trauen. Aber ich werde ihnen wohl trotzdem trauen. Schließlich heißt es schon beim Prediger Salomon, daß nichts Neues geschieht unter der Sonne, und daran halte ich mich. Auch Irma wird wiederkommen. Ich könnte mir denken, daß sie zumindest einen eingehenden Blick auf denjenigen werfen will, der beschlossen hat, über Sam Peebles’ altem Büro diese leuchtendrote Markise anbringen zu lassen.
Vielleicht werde ich selbst einmal hineinschauen. Ich denke, das werden fast alle Leute in der Stadt tun, bevor alles gesagt und getan ist.
Interessanter Name für einen Laden, nicht wahr? Answered Prayers . Man fragt sich wirklich, welche Art von Ware da drinnen angeboten wird.
Nun, bei einem solchen Namen kann das alles mögliche sein.
Alles mögliche.
24. Oktober 1988 – 28. Januar 1991
Der Autor
Stephen King wird am 21. September 1947 in Portland, Maine, geboren. Als er zwei Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie, und die
Weitere Kostenlose Bücher