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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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trat an.
     
    Der traumgleiche Zustand des Überlebensprogramms muss irgendwann unterwegs auf dem Forstweg zwischen Moorteich und Schlossruine wieder in das normale Wacherleben übergegangen sein. Ich erinnere mich nur, dass ich mich beschwingt fühlte und plötzlich keine Eile mehr hatte. Die Bewegung bergauf hatte meinen Kreislauf angekurbelt und Blut in alle Bereiche des Körpers gepumpt, auch in die Füße. Die Zehen waren immer noch gelb, aber zum Glück nirgendwo blau oder gar schwarz, und so war die Gefahr mit einem mal wieder ganz fern und fast schon vergessen. Würde schon alles gut gehen. Nettes kleines Abenteuer. Und nun weiter nach Plan.
    So stieg ich, am Wanderrastplatz neben der Schlossruine angekommen, vom Rad, statt schleunigst nach Hause zu fahren, und watschelte in meinen durchweichten Sandalen auf meinen immer noch pelzigen Füßen zu dem Holzkasten, in dem das Wanderer-Gästebuch schräg an die Rückwand gelehnt stand. Bei allem Quatsch, der damit getrieben wurde, es hielt sich doch jeder an die Regel, es nicht herumliegen zu lassen, sondern geschützt aufzubewahren.
    Gespannt wie beim Weihnachtspäckchen-Auspacken öffnete ich den gebogenen Nagel, der die kleine Holztür verschlossen hielt, erkannte an dem hellblau umrandeten, schwarzweiß karierten Buchdeckel-Umschlag das Gästebuch und zog es hervor. Ich suchte die letzte beschriebene Seite, den letzten Eintrag.
    „ 15.1. - Sind bei strahlendem Sonnenschein und mildem Luftzug zu einer kleinen Wanderung aufgebrochen. Schönwetterwolken, ein Hauch von Frühling. Ob es in diesem Winter überhaupt noch mal schneit? Egon Stubenfeuer und Harry Schmidt. PS: Manche Leute sollten lieber nicht in dieses Buch schreiben.“
    Das waren die beiden Spezialisten, die praktisch täglich hier vorbeikamen, sofern es nicht regnete oder schneite, und sich dann jedesmal wortreich verewigten. Vermutlich zwei 80jährige mit künstlichen Hüftgelenken, das Gekritzel war kaum zu entziffern.
    Ich erinnerte mich, dass ungefähr Mitte Januar der große Schneefall eingesetzt hatte. Seitdem hatte es keinen Eintrag mehr gegeben. Das gefiel mir, ich war der erste Besucher dieses Frühlings, und ich hatte Spannendes zu vermelden:
    „ 17.3. – Erste diesjährige Radtour über den Moorteich. Dort unten liegt der Schnee fast noch kniehoch. Ich musste barfuß da durch und hab mir bestimmt einen Mordsschnupfen geholt. Hoffentlich habe ich mir die Füße nicht erfroren. SeFo“
    Ich kam mir ziemlich toll vor, das zu schreiben, wie ein Superheld nach bestandenem Abenteuer, und geheimnisvoll zudem, da die barfuß-Behauptung nicht erklärt wurde. Aber eigentlich machte ich den Eintrag nicht für andere Besucher, die mit dem Kürzel SeFo sowieso nichts anfangen konnten, sondern für mich selbst, für den Sebastian Forberig der Zukunft. Wenn ich das nächste Mal hier vorbei käme, würde ich den Eintrag lesen und denken: Mannomann, hab ich da einen Blödsinn gemacht, aber zum Glück ist alles noch mal gut für mich ausgegangen.
    Ich blätterte im Buch zurück auf die vorhergehende Seite.
    „ 14.1. – Egon Stubenfeuer und Harry Schmidt, wo seid Ihr – Ihr haltet wohl Winterschlaf?“, hatte einer der anonymen Spaßvögel vor dem letzten Eintrag der beiden Dauerbesucher geschrieben. Das also war der Anlass zu deren PS gewesen. Tatsächlich gab es vor dem 14.1. keine Einträge, bloß ein paar Schmierereien, und davor zuletzt am 26.11. einen Besuch des Duos Stubenfeuer und Schmidt: der übliche Wetterbericht, versehen mit dem PS, dass das Buch nicht für Geheimbotschaften gedacht sei. Dann sprang mir schon mein letzter, nicht gerade vielsagender Eintrag am 14.11. ins Auge: „SeFo war da!“
    Ich versuchte, mich an diesen Tag zu erinnern, die Tour und das, was davor in der Schule gewesen und wie der Abend nach der Tour verlaufen war. Schade, dass ich nichts Näheres eingetragen hatte. Da sah ich plötzlich die kleine, verwaschen-blaue Handschrift, die offenbar nicht mit dem Bleistift gemacht worden war, der an einem kurzen Stück Paketschur am Buch hing. In den vier Zeilen zwischen meinem Eintrag vom 14.11. und dem von Stubenfeuer-Schmidt vom 26.11. stand ohne Datum in zwei Zeilen gequetscht mit jeweils einer Zeile Leerraum nach oben und unten:
    „ Keine Angst, SeFo, Du wirst Dir die Füße nicht erfroren und dir auch keinen Mordsschnupfen geholt haben. Dein Blödsinn geht mit meiner Hilfe noch mal gut für Dich aus.“

Kapitel 2: Der Befall
     

    Meine Füße fühlten sich an wie von

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