Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
und fixierte mich mit noch immer aufgestellten Ohren. Die Frau indes stopfte sich weiterhin ein Blatt Papier nach dem nächsten in den Mund und aß tatsächlich ihre Buchhaltung auf. Ich griff nach einem Telefon, rief die örtliche Polizeidienstelle an und verlangte dringend nach einer Polizistin zur Unterstützung.
Mir selbst waren naturgemäß die Hände gebunden. Zum einen hätte ich die Frau von Amtswegen gar nicht anfassen dürfen, zum anderen war ich der Überzeugung, dass mich der Hund bei dem Versuch, seinem Frauchen das Heft zu entreißen, in Stücke zerfetzt hätte. Mittlerweile hatte die Frau das Heft unter ihren Pullover gesteckt, was mich zumindest dahingehend beruhigte, dass nicht noch weitere Unterlagen ihrer Magensäure zugeführt werden. Aber mit einem Mal verschwand die Frau durch die Terrassentüre nach draußen in den Garten.
Barfuß, den Hund an ihrer Seite, rannte die Hausherrin durch den Garten in Richtung Straße – und ich hinterher. Mein Kollege und ich waren in diesem Moment völlig überfordert. Die Polizistin war angefordert, aber leider noch nicht eingetroffen, die Frau mit Beweismitteln unter ihrem Pullover auf der Flucht. In der ruhigen Villengegend entwickelte sich eine bizarre Verfolgungsjagd. Eine Frau ohne Schuhe, dafür mit Hund, verfolgt von einem bärtigen Mann. Zunächst rannten wir noch zwei- oder dreimal um ein Auto herum – wie beim Fangen spielen – bis die Dame abdrehte und eine Straße des Wohnviertels entlangtrabte, Hund und Steuerfahnder im Schlepptau.
Mit einem Mal rannte die Frau in eine Hofeinfahrt, klingelte an der Tür und entschwand blitzschnell in einem Hauseingang. Als ich an dem Haus ankam, konnte ich im Hintergrund ein aufgeregtes Stimmengewirr hören. Dem Türschild entnahm ich, dass es sich um die Praxis einer Allgemeinmedizinerin handelte. Als die Haustür nach meinem Klingeln endlich geöffnet wurde, stand mir eine gepflegte ältere Dame im weißen Kittel gegenüber. Durch einen kleinen Spalt konnte ich im Hintergrund gerade noch erkennen, wie die geflüchtete Hobbykünstlerin in einem Zimmer verschwand, und hörte, wie die Tür von innen mehrfach verriegelt wurde.
Ausweisen konnte ich mich nicht, da ich in der ganzen Aufregung meine Tasche mit Dienstausweis und Marke in der Villa der Flüchtenden vergessen hatte. Aber die Ärztin schenkte meinen Angaben Glauben und ließ mich in das vornehme Haus eintreten. Sie erklärte mir, dass die Frau, die sich vor mir versteckt hielt, ihre Patientin sei und sie versuchen würde, die Dame wieder etwas zu beruhigen.
Nach vielen Minuten guten Zuredens öffnete die »Steuerflüchtige« endlich die Tür, und nachdem ihr die Ärztin eine Beruhigungsspritze gegeben hatte, konnte ich schließlich auch vernünftig und in aller Ruhe mit ihr reden. Mit dem Einverständnis der Ärztin durfte ich mich sogar ein wenig in dem Zimmer nach dem Heft umsehen. Aber: Ich konnte es leider nicht finden.
Eine gute Stunde später gingen wir gemeinsam mit der Ärztin zurück zu ihrem Haus, wo mein Kollege an der Seite einer Polizistin auf mich wartete. Ich erklärte der Polizeibeamtin, dass wir sie nun nicht mehr bräuchten, und bedankte mich für ihre Hilfe. Im Beisein der Ärztin schrieben wir noch unser Durchsuchungsprotokoll und beendeten dann diese vollständig aus dem Ruder gelaufene Aktion.
Zurück auf unserer Dienststelle, erleichtert, diese Angelegenheit irgendwie überstanden zu haben, beratschlagten wir, wie wir weiter vorgehen, und kamen überein, dass wir dieser Frau eigentlich nie wieder begegnen wollten. Die Durchsuchung der Büroräume ihres Mannes war erfolgreich gewesen, die Kollegen hatten alle Unterlagen gefunden, um die Steuerhinterziehung »rund« zu machen und die ganze Sache zu einem Abschluss zu bringen. Was also konnte man in diesem Fall noch wollen?
Seine Noch-Ehefrau hätten wir – nachdem sie die Unterlagen hatte verschwinden lassen – durchaus auch schätzen können, aber uns waren Lust und Jagdtrieb schlichtweg vergangen. Wir hatten uns in diesem Fall wahrhaftig nicht von unserer professionellsten Seite gezeigt und schließlich doch gefunden, wonach wir gesucht hatten: Der Mann musste sechsstellig nachbezahlen. Und die Frau? Die wird diesen Tag wohl nie mehr vergessen. Aber sie hat fortan, wie ich später im örtlichen Finanzamt erfahren konnte, fleißig Steuern für die Einkünfte aus ihrer Hobbytöpferei bezahlt.
Außergewöhnliche Belastungen – Wenn Frauen sich rächen
Den mache ich
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