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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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zur Tür.
    Jury legte das Album in Kate Sandys’ Schoß und fragte sich, warum er glaubte, daß das ein Trost für sie sei. Doch sie umklammerte das Album und starrte vor sich hin, als seien diese Erinnerungen etwas völlig Reales.
    Dann griff er nach dem Bild von David Marr und steckte es ein. Er schüttelte den Kopf. David war nicht hier gewesen, er hatte es nicht gesehen. Und er dachte daran, wie recht Plant damit gehabt hatte, daß sie im Kopf des Mörders alle zur treulosen Porphyria verschwommen waren. Wieder betrachtete er das Foto von David Marr in seiner Hand. Aber es war wohl nicht das erste Mal, daß er sich getäuscht hatte. Und es würde weiß Gott nicht das letzte Mal sein.
     
     
     
    S CHLIESSLICH STIEG SIE DOCH nicht die Treppe zur King’s Road hinauf. Statt dessen verließ sie den gepflasterten Gehweg und betrat den Kiesstrand. Sie hielt einen Augenblick inne und blickte aufs Meer hinaus. Dabei hielt sie schützend die Hand über die Augen, als sei es hellichter Tag und als könnte man da draußen wirklich etwas sehen; als hielte sie nach dem glänzenden, ruckenden Kopf eines Badenden Ausschau. Sie hob einen Kieselstein auf, schleuderte ihn fort und wanderte weiter den Strand entlang. Der weiße Regenmantel leuchtete in der Nacht, ein langer gelber Schal wehte flatternd hinter ihr her.
     
    Er hatte schon früher immer eine Schußwaffe dabeigehabt und trug sie auch jetzt. Zu dieser Jahreszeit konnte man bei einer Frau jedoch sicher sein, daß sie einen Schal trug, und sie hatte ihren an wie die anderen vor ihr und ließ die Enden über den Rücken baumeln.
    Sie ging so langsam, daß es ihr offensichtlich ganz normal erschien, als er sie einholte. Denn als er sie ansprach, wandte sie bloß den Kopf, sah ihn an und strich sich das Haar zurück.
    Er sagte, es tue ihm leid, falls es so ausgesehen habe, als ob er ihr folge, und daß sie einer Frau, die er einmal gekannt habe, sehr ähnlich sähe.
    Und er fragte sich, ob er ihr wohl auch bekannt vorkäme. Er konnte nicht glauben, daß sich sein Gesicht nicht in ihr Gedächtnis gegraben, ja eingebrannt hatte, so wie angeblich jedes Opfer die Handschrift seines Mörders zeigt.
    Und doch sah sie ihn mehrere Augenblicke lang fast blind an. Ein seltsamer Ausdruck lag in ihren blauen Augen, etwas Zustimmendes – vielleicht hätte er sogar sagen können, Verschwörerisches. Sie hatte den Schal gelöst und abgenommen. Er war ebenfalls weiß und hing jetzt aus ihrer Manteltasche heraus. Es war also kein gelber Schal hinter ihr hergeflattert, sondern ihr Haar. Wie konnte er das bloß verwechseln?
    Sie sagte, daß viele Leute sie verwechselten. Sie habe Ähnlichkeit mit der Frau im Fernsehen, die den Wetterbericht moderiere.
    Nichts in ihrem Verhalten verriet, daß sie ihn wiedererkannte. Ihre Stimme klang flach und ausdruckslos.
    Ob sie denn in Brighton lebe? Und ob es ihr hier gefalle?
    Schon ihr ganzes Leben lang, sagte sie. In letzter Zeit habe sie zwar in London gewohnt, doch sie werde wohl wieder nach Brighton zurückgehen. Dann blickte sie aufs Meer hinaus und sagte, sie erinnere sich ans Meer, wie es in ihrer Jugend gewesen sei.
    In ihrer Jugend. Selbstverständlich mußte sie gemeint haben, in ihrer Kindheit, aber trotzdem war es komisch, daß sie so etwas sagte, als habe sie ihre Jugend verloren, als habe sich die Jugend verflüchtigt wie die faltigen Wellen, die von der Küste zurückrollten.
    Sie blickte zu ihm auf: Dolly Sandys . An die erinnere sie die Leute.
    Rose , sagte er. An die erinnern Sie mich. Sie schien es nicht besonders merkwürdig zu finden, daß er Rose gesagt hatte.
    Dann schwieg er. Irgendwie lief das falsch. Phoebe, an Phoebe dachte er doch jetzt, etwa nicht? Phoebe mit ihrem Flachshaar, das auf der Straße ausgebreitet lag.
    Seine Hand faßte nach ihrem Haar. Sie wich zurück. Als er den Kopf zur Seite wandte, sah er die Scheinwerfer, die Blaulichter, die die King’s Road herangeschwirrt kamen. Eine vom Wind verzerrte Stimme rief nach ihm.
    Jemand schrie. Und dann riß sie sich aus seinen Armen los und begann zu laufen. Gebrüll, brennende Taschenlampen kreisten wie kleine Monde, Leute drängten sich die Treppe herunter.
    Ehe er die Waffe hob, hatte er noch Zeit, an die Ironie der Situation zu denken. Daß er ihr doch gar nichts hatte tun wollen. Sie hatte ja nicht einmal gewußt, wer er war.
    Wieder ertönte die Stimme, die ihn gerufen hatte: «Ned!»
    Er fühlte die Waffe schwer in seiner Hand. Komisch, daß er David nicht

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