Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
Vom Netzwerk:
Leben
schwer macht.« Ich öffnete schon meinen Mund zum Protest, als Steiner plötzlich
einlenkte. Offensichtlich hatte er erkannt, dass er dabei war, seinen neuen Hausgast
zu verärgern. Etwas freundlicher fuhr er daher fort: »Also, ich würd vorschlagen,
Sie gehen jetzt hinein und bestellen sich ein gutes Abendessen, wir haben
Wildwochen, und ich kümmere mich um …«
    »Nichts da, wir rufen jetzt den Tierarzt.« Ich wollte das Tier retten und
es nicht töten. Sonst hätte ich es gleich am Straßenrand liegen lassen können.
    Vinzenz Steiner starrte mich an, ich starrte zurück. Das Licht der
Laterne über dem Eingang fiel auf sein faltiges Gesicht. Er zuckte die
Schultern, drehte sich um und ging mit stampfenden Schritten zum Haus zurück.
Mit Schwung stieß er die Eingangstür weit auf.
    »Schorsch!«, hörte ich ihn in der Halle brüllen. »Schorsch, setz deinen
lahmen Arsch in Bewegung. Du fährst jetzt gleich zum Thurner Viktor.«
    Kurze Zeit später kam ein alter grüner Puch G auf den Vorplatz
gefahren und hielt neben meinem Defender. Ein dicker Mann Mitte sechzig in
einem ausgebeulten Trainingsanzug, verfilzten Skisocken und Holzpantoffeln
kletterte vom Fahrersitz. Seine Bierfahne war schon von Weitem zu riechen, und
sein missmutiger Gesichtsausdruck sollte mir wohl klarmachen, dass er bereits
Feierabend hatte. Ungerührt übergab ich ihm den Fuchs mitsamt der Jacke, teilte
ihm mit, dass ich alle anfallenden Tierarztkosten übernehmen würde, und sah ihm
nach, bis die Rücklichter des Geländewagens hinter der Silhouette des alten
Baumes im Dunst verschwammen. Dann kehrte ich in den Gasthof zurück, um mir nun
endlich mein Abendessen zu bestellen.
    Im Gegensatz zur Halle wirkte die Gaststube des Jagawirt mit ihrer
Täfelung aus Zirbenholz behaglich. Eine Holzbank lief um den ganzen Raum, und
ein Kachelofen strahlte wohlige Wärme aus. An den Wänden hingen gerahmte Stiche
und Hinterglasbilder und zahlreiche Jagdtrophäen. Leinenvorhänge, auf denen
Hirsche im Sprung zu sehen waren, verbargen den Blick auf das nasskalte Herbstwetter.
Vier oder fünf Tische waren besetzt. Bis auf ein Karten spielendes älteres
Ehepaar in Jogginganzügen saßen in der Stube nur Männer.
    Ich ließ mich auf der freien Ofenbank nieder und lehnte meinen Rücken an
die wohlig warmen Kacheln. Zwei ältere Männer am Nachbartisch, der eine in
einer aufgeknöpften Polizeijacke, der andere in halbhohen Bergschuhen,
Kniebundhose und an den Ärmeln gestopfter grüner Strickjacke, sahen zu mir
herüber. Zwischen ihnen stand eine Platte mit kaltem Braten, Speck und Käse.
Ich war mir meines müden Gesichtes und des zerdrückten Karohemdes bewusst,
bemühte mich aber um ein möglichst charmantes Lächeln. Doch nur der Polizist
erwiderte meinen Gruß, ehe sich die beiden wieder ihrem Essen widmeten.
Offenbar waren sie attraktivere Frauen gewohnt. Die Dorfschönheiten trugen wahrscheinlich
kurze Röcke und hohe Hacken und waren perfekt geschminkt. Ich konnte einen
Seufzer nicht unterdrücken und griff nach der Speisekarte.
    »Sie haben schon gewählt?« Neben mir stand eine stämmige Frau im
ausladenden grünen Dirndl, einen Block und einen Stift gezückt in der Hand.
    »Noch nicht, aber der Wirt hat gesagt, Sie hätten Wildwochen …«
    »Sie sind die neue Frau Doktor, stimmt’s?« Die Kellnerin tippte mit dem
Stift auf ihren Block. »Der Chef hat Sie schon angekündigt. Also, dann bring
ich Ihnen mal die Hirschmedaillons. Medium?«
    »Klingt gut.« Der Wiener Kollege, der im letzten Winter in Alpbach zum
Skiurlaub war und mir den Jagawirt und seine regionalen Spezialitäten empfohlen
hatte, schien recht zu behalten. Das Angebot klang verlockend. »Ja – warum
nicht?«
    »Und einen Zweigelt soll ich dazu servieren.« Die Kellnerin verschwand,
ohne meine Antwort abzuwarten, in Richtung Küchentür.
    Erst jetzt bemerkte ich die schmale alte Frau, die allein an einem Tisch
am anderen Ende des Raumes saß. Sie trug ein gehäkeltes Schultertuch, und ihr
kurz geschnittenes Haar schimmerte silbrig im Licht der Lampe. Vor ihr auf dem
Tisch lag eine Nadelarbeit. Als ich der Frau zunickte, erschien ein sanftes
Lächeln auf ihrem Gesicht. Dann senkte sie den Kopf, erhob sich mit einer
anmutig leichten Bewegung und verließ die Stube. Die Handarbeit ließ sie liegen.
    Die Hirschmedaillons mit Rotkrautstrudel waren butterzart und innen
hellrosa. Ich trank den Zweigelt dazu und fühlte mich mit jedem Schluck besser.
Gerade als ich die letzten

Weitere Kostenlose Bücher