Jan Tabak geht aufs Ganze
das mit den Kindern werden soll?“
„Na klar“, sagte Jan. „Ich hol sie mit dem Boot ab, damit sie gleich merken, daß sie hier an der Wasserkante sind.“
„Du bist ein Döskopp! Ich meine, ob du dir überlegt hast, wie du mit ihnen umgehen willst?“
„Umgehen?“ wiederholte Jan zögernd. „Tja, weißt du, ich denke das immer frisch von Fall zu Fall zu regeln. So was kann man doch nicht im voraus festlegen.“
„Und ob man das kann, Jan Tabak!“ bestimmte Tina. „Ganz genau kann man das. Das ist nämlich Pädagogik!“
„Was du nicht sagst, Tina!“ staunte Jan. „Das hab ich ja noch gar nicht gewußt.“
„Hier“, fuhr Tina fort, nahm ein Blatt Papier aus der Tischschublade und hielt es ihrem Mann unter die Nase, „hier hab ich mir die ganze
Pädagogik aufgeschrieben. Von A bis Z! Mir kann nichts passieren.“ Jan nahm den weißen Bogen in die Hand und warf einen bewundernden Blick auf die mit regelmäßigen Buchstaben vollgeschriebenen Reihen.
„Donnerwetter“, rief er überrascht, „das sieht ja wunderschön aus.“ Tina wurde rot und erklärte verlegen: „In Handschrift hatte ich immer eine Eins.“
„Mit Recht, Tina, mit Recht“, rief Jan zustimmend und begann nun halblaut die Pädagogik seiner Frau zu lesen.
„Es ist verbohten, Erwagsenen Wiederreden zu geben.
Es ist verbohten, Äpfel zu stehlen.
Es ist verbohten, Kühe mit Steine zu schmeißen.
Es ist verbohten, mit dreckige Schuhe im Hause zu laufen.
Es ist verbohten, den Wachtmeister zu foppen.
Es ist verbohten, die Schuhle zu schwenzen.
Es ist verbohten, mit Boote zu fahren.
Es ist verbohten...
Ja, sag mal“, unterbrach Jan sich an dieser Stelle, „gibt es in deiner Pädagogik denn gar nichts, was erlaubt ist?“
„Klar, Jan Tabak, alles, was nicht auf dem Zettel steht.“
„Hm“, machte Jan, „und warum hast du das nicht aufgeschrieben?“
„Weil sich das von selbst versteht!“ entrüstete sich Tina über eine so dumme Frage. Aber Jan gefiel das nicht.
„Wenn alles verboten ist, hat man ja gar keine Freude mehr am Leben“, sagte er. Seine Frau nahm ihm den Zettel aus der Hand und legte ihn in die Schublade zurück.
„Wir sind nicht auf der Welt, um uns zu freuen“, bemerkte sie mit Nachdruck, „sondern um unsere Pflicht zu tun.“
„Ja, ja, das mag schon stimmen“, bestätigte Jan, „aber dabei kann man doch fröhlich sein. Oder meinst du, du melkst deine Kühe schneller und besser, wenn du ein Gesicht dabei machst wie ein saurer Hering? Sieh mich an, ich bin lustig und vergnügt, obwohl es an fünf Stellen durch die Zimmerdecke regnet.“
„Hör auf!“ rief Tina empört. „Du bist in Sachen Pädagogik eine Niete. Und darum mußte ich die Verbote aufschreiben. Was erlaubt ist, werden die Kinder schon von dir zu hören kriegen.“
Jan nickte.
„Allerdings“, sagte er. „In der Dornenhecke deiner Verbote müssen sie ja zu Fall kommen.“ Und grinsend fügte er hinzu: „Übrigens wird ,verboten’ ohne ,h’ geschrieben. Auch sonst ist da einiges mit deiner Rechtschreibung und Grammatik nicht ganz in Ordnung.“
„Darauf kommt es nicht an“, entgegnete Tina spitz. „Nicht das Wie, sondern das Was ist entscheidend.“
„So“, wunderte sich Jan, „dann ist deine Theorie von dem guten-Vorbild, das man geben muß, wohl auf die Rechtschreibung nicht anzuwenden, was?“
Am nächsten Morgen setzte sich Tina an den runden Tisch in der guten Stube und schrieb ihre Pädagogik neu, „verboten“ immer ohne „h“. Die anderen falschgeschriebenen Wörter übernahm sie unverändert.
Jan aber zog mit Lady vor dem Handwagen auf dem Deich entlang, um irgendwo fünf Dachziegel aufzutreiben.
Jan und Lady unterwegs
Die Wurzachers waren mit Jan Tabak verwandt. Frau Wurzacher, geborene Marwedel, war seine Nichte. Sie hatte, als sie in München studierte, ihren Mann kennengelernt, einen strebsamen und eifrigen Wissenschaftler der Archäologie, und ihn geheiratet, bevor ihre eigenen Studien abgeschlossen waren. Mit dem hatte sie zwei Kinder, einen Jungen von dreizehn und ein Mädchen von zehn Jahren. Da der ehrgeizige Vater von Erdteil zu Erdteil reiste, um Ausgrabungen zu machen, und seine Frau ihn dabei begleitete, weil sie nicht allein sein mochte, mußten die Kinder in fremde Hände gegeben werden. Den Anstrengungen so großer Reisen wären sie nicht gewachsen gewesen. Und so verbrachten sie ihre ersten Lebensmonate in einem Säuglingsheim und alle übrigen auf Internaten in
Weitere Kostenlose Bücher