Januarfluss
nickt, steigt vom Kutschbock und geht um das Tier herum. Er wedelt dabei fortwährend mit den Händen, denn Hunderte vom Fliegen umschwirren die übel riechenden Ãberreste der Kuh. » Es ist keins von unseren Tieren « , stellt der Kutscher schlieÃlich fest. Er verschränkt die Arme vor seinem Körper und versinkt traurig in der Betrachtung des toten Tiers, als müsse er überlegen, was zu tun sei. Nicht, dass er noch ein Gebet spricht.
Ich steige aus der Kutsche und weise João an, die Pferde vor den Kadaver zu spannen. Wir müssen das Ungetüm schnellstmöglich von dem Weg schaffen, wenn wir noch rechtzeitig am Bahnhof ankommen wollen. Zum Glück bin ich nicht zimperlich, sodass ich João bei der Aufgabe helfen kann, zumindest bei den nicht gar so unappetitlichen Handgriffen. Nun ja, ich halte eigentlich nur die Pferde. Nach etwa einer Viertelstunde ist es uns gelungen, das Rind an den Wegesrand zu befördern, und wir können unsere Fahrt fortsetzen.
Diesmal jedoch vermag ich nicht staunend und gut gelaunt die Umgebung in all ihrer Ãppigkeit zu bewundern. Vielmehr schieben sich dunkle Wolken vor meine Wahrnehmung. Allmählich beschleicht mich nämlich das Gefühl, dass dieser Tag vielleicht doch nicht der glücklichste meines Lebens ist. Maria würde die » Zeichen « zu deuten wissen: den vergossenen Kaffee, die zerbrochene Vase, die tote Kuh. Im Gegensatz zu den Sklaven bin ich nicht abergläubisch, aber eine solche Häufung von Missgeschicken und Unglücken ist nicht normal.
Ach was, rede ich mir gut zu, das wird nur am Wetter liegen. Auch am Himmel haben sich in kürzester Zeit so viele schwarze Wolken aufgetürmt, dass sie die Sonne verdunkeln. Merkwürdig, so früh am Tag ist sonst eigentlich nicht mit Regen zu rechnen.
Wir erreichen den Bahnhof ohne weitere Vorkommnisse. Der Zug läuft pünktlich ein. Sein Signal schrillt in den Ohren, und die dicken Dampfschwaden aus dem Schornstein der Lokomotive trüben die Sicht, aber wie immer ist der Anblick erhebend. Die Eisenbahn ist das modernste und schnellste Transportmittel, ein Triumph moderner Ingenieurskunst über die Beschränkungen von Raum und Zeit. Wo man früher tagelang über unwegsames Gelände reiten musste, gleitet man nun innerhalb weniger Stunden auf Schienen zu seinem Ziel. Fantastisch.
Inmitten der Menschenmenge halte ich vergeblich Ausschau nach Alice, als ich auf einmal ihre Stimme direkt hinter mir höre. » Isabel, du blindes Huhn! « Ich drehe mich um, und wir fallen uns in die Arme, ich lachend, Alice schluchzend.
» Du musst nicht gleich Freudentränen vergieÃen, weiÃt du « , sage ich und tätschele ihr dabei den Rücken.
» Ich weiÃ. Aber du, du weiÃt gar nichts! « , heult sie. » Es ist eine Katastrophe! Eine Tragödie! Ein⦠«
So ist sie. Alice kann in einer Sekunde fröhlich sein und in der nächsten zu Tode betrübt. Ihre Stimmungsschwankungen sind manchmal schwer zu ertragen. Aber ich kenne Alice nun einmal nicht anders.
» Senhorita Alice! « , kommt es tadelnd von der Gouvernante, wie Alice ihre Erzieherin beziehungsweise Aufpasserin nennt. Allein hätte meine Freundin diese Fahrt nie antreten dürfen. » Sie übertreiben maÃlos. Und auÃerdem schickt es sich nicht, sich in der Ãffentlichkeit so gehen zu lassen. «
» Erzähl mir alles auf dem Heimweg. Und dann haben wir noch den ganzen Abend für unsâ Zeit genug, dich bei mir auszuheulen. « Ich verstehe selbst nicht, woher ich diese vernünftigen Worte nehme.
Denn natürlich sterbe ich fast vor Neugier.
Auf der Rückfahrt erfahre ich nichts, weil wir uns unter den lauernden Blicken der Gouvernante befangen fühlen. Noch dazu hat jetzt Regen eingesetzt. Ich starre trübsinnig hinaus und hoffe, dass meine Pechsträhne nun bald ein Ende hat.
Alice hat mir nicht einmal zum Geburtstag gratuliert.
2
Es ist schon fast zwei Uhr morgens. Alice und ich haben seit unserer Ankunft auf Ãguas Calmas pausenlos geredet. Die einzige Unterbrechung unseres Gesprächs war das Abendessen mit meinen Eltern, wobei wir da natürlich auch geredet haben, nur eben über andere Dinge. Was Eltern so alles hören wollen, über die Schule und ähnlich uninteressante Sachen. Alice ist es gelungen, alle davon zu überzeugen, dass sie das bravste und fleiÃigste Mädchen aller Zeiten ist. Wenn die
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