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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Rio de Janeiro, 11. Februar 1888
    Es ist vorbei.
    Mehr als eine Ahnung ist es im Grunde nicht. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass heute der Tag ist, an dem alles zu Ende ist.
    Ich zittere, obwohl es mindestens 30 Grad warm sein muss. Das Klappern meiner Zähne ist bestimmt bis draußen zu hören.
    Von fern dringen die fröhlichen Geräusche des Umzugs in mein Versteck. Bald wird die tanzende Menge auch an meiner Tür vorbeiziehen. Wie schön wäre es, einfach mitzufeiern! Stattdessen hocke ich hier, am Karnevalssamstag, und fürchte mich fast zu Tode.
    Die Kammer, in der ich mich vor meinen Verfolgern verberge, ist dunkel, stickig und feucht. Sie befindet sich im Keller von Dona Martas Schankwirtschaft, und da hier unten die Vorräte gelagert werden, muss ich mir den engen Raum mit Schnapsfässern und getrockneten Würsten teilen, die von der Decke baumeln. Und mit allen möglichen Tieren. Es raschelt und knistert überall, und ich habe andauernd das Gefühl, dass irgendetwas auf mir herumkrabbelt. Es ist widerlich.
    Ein Fensterchen führt zu der Gasse, die hinter dem Haus entlangläuft. Allerdings kann man dadurch nicht genau erkennen, was sich oben tut, denn vor dem Fenster befindet sich eine Art Luftschacht, auf dem ein Gitter liegt. Ich kann nur die Füße der Leute sehen, die über dieses Gitter gehen. Meist sind es Männerfüße in ausgetretenen Sandalen, die rissigen Füße von Arbeitern und einfachen Leuten, die bei der alten Wirtin Dona Marta ihre pinga trinken.
    Pinga nennen die Menschen hier im Viertel den billigen Zuckerrohrschnaps. Das habe ich im Laufe der vergangenen Wochen gelernt, wie so viele andere Dinge. Viel wichtigere Dinge. Aber was nützt mir mein neu erworbenes Wissen jetzt noch? Er wird mich ja doch kriegen. Der Schuft, wie wir den Widerling nur noch nennen, ist zu allem entschlossen. Er hatte Zeit genug, um sich eine glaubhafte Geschichte auszudenken, Beweise zu fälschen und mich als die Schuldige dastehen zu lassen. Er wird alle davon überzeugen, dass ich ein verwirrtes Mädchen bin, ein dummes Ding, das einfach nicht weiß, was gut für es ist. Das der Führung bedarf– seiner Führung.
    Ein kühler Schauer läuft mir über den Rücken. Schon beim Gedanken an diesen Mann bekomme ich eine Gänsehaut. Ein Leben an seiner Seite wäre der reinste Albtraum. Er würde mich in einen goldenen Käfig sperren, in ein Gefängnis aus Luxus und Lügen, aus Geld und Gefühlskälte. Und diese Vorstellung ist noch optimistisch. Im schlimmsten Fall wird er mich umbringen.
    Die einzige Hoffnung, die ich jetzt noch habe, ist Alice. Ob sie meinen Hinweis erhalten hat? Hat sie ihn richtig gedeutet? Und wird es ihr gelingen, die Polizei von der Schuld des Schufts zu überzeugen? Ich bete, dass ihr nichts zustößt. Ich habe sie in Gefahr gebracht, so wie ich alle in Gefahr gebracht habe, die mir geholfen haben. Vielleicht liegt ein unheimlicher Fluch auf mir. Aber nein, rede ich mir gut zu. Nichts dergleichen ist der Fall. Es ist nur die lange, ermüdende Flucht, die an meinen Nerven zerrt. Ich darf unter keinen Umständen zulassen, dass das letzte Gut, das ich noch besitze, mir abhandenkommt: meine geistige und körperliche Gesundheit. Wenn ich hier durchdrehe, ist niemandem damit gedient, am allerwenigsten Lu.
    Ich höre Schritte auf der Treppe. Das wird José sein, Dona Martas Gehilfe. Sie schickt ihn regelmäßig in den Keller, um ihr irgendetwas heraufzubringen. Er ist ein lustiger Geselle. Ich freue mich, ihn zu sehen, und sei es auch nur für ein paar Minuten. José gelingt es immer, mich aufzumuntern.
    Er klopft dreimal kurz und nach einer Pause noch zweimal schnell hintereinander an die Tür: tok-tok-tok– tok-tok. Das ist unser vereinbartes Zeichen. Wenn ich weiß, dass er es ist, muss ich mich nicht in dem Vorratsschrank verstecken, der meine letzte Zuflucht ist.
    Â» Oi, Isabel « , begrüßt er mich, » tudo bem? «
    Hallo, Isabel. Alles klar?
    Ich nicke und lächele ihm zu. Allein seine Redeweise beruhigt mich und lässt mich für eine Sekunde vergessen, wo ich mich befinde. Bei uns zu Hause hätte die gleiche Frage ganz anders geklungen. Zum Beispiel so: » Einen wunderschönen Abend, Senhorita Isabel. Darf ich mich nach Ihrem werten Wohlbefinden erkundigen? «
    Wir wechseln ein paar freundliche, belanglose Worte, bevor José mit einer

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