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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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allem im Sommer, in den großen Schulferien, muss Luka sie aber mitnehmen, das entscheidet seine Mutter, also kann er sich da nicht herausreden. Dann sitzen sie zu dritt um seine Sonnenschirme herum und schmeißen Steine ins Meer, aber auf keinen Fall, auf gar keinen Fall gehen Dora und Luka dann zu ihrem Felsen! Der Felsen auf der Halbinsel Sv. Petar gehört nur ihnen, ihnen allein, und eine aufdringliche Schwester oder irgendein anderes Kind hat da nichts zu suchen. Das ist klar. Darüber müssen Dora und Luka nicht sprechen, sie müssen nicht einmal einen verschwörerischen Blick wechseln. Sie können mit Ana Eis essen gehen. Das ist in Ordnung. Ein Eis, das ist nichts Besonderes. Oder im seichten Wasser picigin spielen oder nach dem dicksten Baum suchen. Oder sich eine kokta teilen, wenn sie Durst haben. Das geht. Aber ihr Felsen! Keine Chance. Und noch etwas gehört nur ihnen: die Wolken. Die Wolken über ihnen am Himmel, der allen gehört.
    Ana mag Dora. Sie will, dass Dora ihre Freundin wird. Im Kindergarten erzählt sie schon, Dora sei es tatsächlich, ihre allerbeste Freundin. Alle beneiden sie. Jeder kennt Dora. Auch die, die sie selbst nicht kennt, kennen sie. Dora ist lustig und erzählt tolle Sachen, mit ihr ist es nie langweilig, sie weiß auf alles eine Antwort. Sie hat ein eigenes Fahrrad, rot und so glänzend, dass es in der Sonne wie eine Riesenflamme herumrast. Das will Ana auch. Luka lacht dann nur und geht weg, als wollte er sagen, niemand könne wie Dora sein. Oder so wie Dora Fahrrad fahren. Ana denkt manchmal, Dora lebe in einem Märchen, sie sei eigentlich eine Prinzessin und nur zu Besuch hier. Ana mag Märchen. Dora liest ihr ab und zu welche vor. Oder erzählt sie ihr. Oder erfindet neue. Spielt sie ihr vor. Das gefällt Ana am besten. Dann verwandelt Dora sich in eine Prinzessin in Not, eine gemeine Königin, einen Feuer speienden Drachen, einen weinenden König, einen tapferen Prinzen, eine gute Fee, eine böse Hexe. Nacheinander. Oder gleichzeitig. Das ist spannender als im Kino. Ja, Ana mag Dora. Vor allem aber, weil Dora ihr ein Geheimnis verraten hat. Sie hat ihr gezeigt, wie man sich im Spiegel ansieht, wie sich das Gesicht mir nichts, dir nichts verändern und man alles werden kann. Auch ohne eine Geschichte, einfach so, nur weil man es will, weil einem danach ist. Dora nennt das eine wichtige Übung. Sie sammelt Filmhefte und weiß alles über alle Schauspieler. An einigen Tagen lässt sie Ana die Bilder der berühmten Schauspieler berühren, aber nur kurz und flüchtig. Bis sie bis fünf gezählt hat. Ana ist Dora sehr dankbar dafür, denkt aber trotzdem, dass Dora zu streng ist damit. Was kann schon passieren? Es sind doch nur Fotos! »So werde ich eines Tages auch sein«, flüstert Dora dann manchmal, und Ana versteht nicht genau, was sie damit meint, so schön oder so unberührbar oder so geheimnisvoll oder so schwarz-weiß.
    Und Dora mag Ana, sie ist Lukas Schwester, und Dora mag alles, was sie mit Luka teilen kann. Es ist auch klar, wer die Wichtigste ist. Luka hat für sie – für Dora und für keine andere! – die Muschelkette gebastelt. Nur Luka hält ihre Hand so, dass Doras Herz schneller schlägt und sie oft schlucken muss. Nur mit Luka teilt sie ihren Lieblingslutscher, den weißen, runden, mit dem farbigen Rand und einer Figur in der Mitte. Sie findet es nicht eklig, an ihrem Lutscher weiterzulutschen, nachdem Luka ihn im Mund gehabt hat. So wie es ihre Mutter nicht stört, mit Doras Gabel zu essen oder aus ihrem Glas zu trinken. »So sind die Mütter«, sagt ihre Mutter dann und lächelt. Und Dora fragt sich, warum sie dasselbe empfindet, wenn es um Luka geht, auch wenn sie nicht seine Mutter ist. Hundert Prozent nicht! Das wäre wirklich komisch, wenn eine Mutter jünger wäre als ihr Kind! Sie hat schon einmal ihre Zähne mit seiner Zahnbürste geputzt. Außerdem hätte Dora auch gerne eine Schwester oder einen Bruder. Sie hätte gerne so etwas Weiches, Kuscheliges, Anschmiegsames, mit dem sie auch spielen könnte. Ihre Mama sagt, sie schaffe sich dann besser einen Hund oder eine Katze an. Aber das will Dora nicht. Katzen machen ihr ein wenig Angst. Ganz wenig, natürlich, denn Dora hat eigentlich vor nichts Angst. Wie dieses Mädchen irgendwo im Ausland, das keine Schmerzen gespürt hat und bei dem die Ärzte dann festgestellt haben, dass es schwer krank war und im ganzen Körper geblutet hat, ohne dass es ihm selbst aufgefallen ist. Der Unterschied ist aber,

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