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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Mama?«
    Mama presste die Lippen aufeinander, sodass sie zu schmalen Strichen wurden. Sie stand auf und trat ans Fenster, wandte Joern und Almut den Rücken zu.
    »Woher hast du ihn?«, fragte sie. »Doch nicht schon wieder › gefunden ‹?«
    »Du meinst, geklaut«, stellte Joern fest. »Nein. Ich habe noch nie etwas geklaut. Ich wette, du weißt das. Und ich wette, du weißt auch, was I & D bedeutet.«
    »Vielleicht«, sagte Mama, ohne sich umzudrehen. Sie blickte noch immer hinaus auf die Schwarze Stadt. »Vielleicht wusste ich es einmal. Aber noch ist nicht die Zeit gekommen, sich daran zu erinnern.«
    »Nein«, sagte Joern.

I & D
    W ie wunderbar es war, wieder über den weichen Waldboden zu laufen! Wie wunderbar, die frische Luft zu atmen und das Lärmen der Vögel zu hören! Es kam mir vor, als hätte der Norderwald auf mich gewartet. Er begrüßte mich mit jedem Blatt, jedem Windstoß in seinen Zweigen.
    Nirgendwo gab es Autos oder Ampeln oder Straßenlaternen, nirgendwo das Röhren von Motoren oder das Hämmern von Metall auf Stein.
    Als ich den Norderhof betrat und die weißen Tauben vor dem blauen Himmel auffliegen sah und das Schnauben von Südwind aus dem Stall hörte, wurde mir beinahe schwummerig. Es war, als wäre ich Jahre fort gewesen, weit, weit fort, auf der anderen Seite der Erdkugel. In einer anderen Welt.
    Tök kam mir über den Hof entgegen und wedelte mit dem Schwanz. Er lief noch vorsichtig, doch seine Wunde war beinahe verheilt. Ich kniete mich hin und vergrub meine Hände in seinem langen, strubbeligen Fell. Alles in mir wünschte sich, einfach dort sitzen zu bleiben, mitten auf dem Hof, und nie mehr wegzugehen. Zu vergessen, was ich in der Schwarzen Stadt erlebt hatte.
    Aber mein Freund, mein Bruder, war dort und wartete auf mich.
    Ein Schrei ließ mich herumfahren. Zuerst dachte ich, etwas wäre passiert, doch es war nur Frentje, die über den Hof auf mich zurannte, so schnell es ihre umfangreiche Figur erlaubte.
    »Lasse!«, rief sie. »Lasse, du bist wieder da!«
    Kurz darauf drückte sie mich an sich und ich atmete den Duft von gebratenen Zwiebeln und tausend Kräutern ein.
    »Wo ist Almut?«, fragte Frentje. »Geht es ihr gut?«
    »Du kennst ja Almut«, sagte ich. »Sie ist entschlossen, erst wiederzukommen, wenn ich Flint überzeugt habe.«
    »Ja, aber von was denn?«, fragte Frentje.
    »Davon, dass alles anders werden muss«, antwortete ich. »Wo ist er?«
    »In seinem Turm«, sagte Frentje. »Wo sonst? Lasse! Lasse, warte!«
    Ich hatte jetzt keine Zeit, Frentje irgendetwas zu erklären. Ich rannte über den Hof, stieß die Tür zum Gutshaus auf und raste die Treppen hoch. Die graue Katze, die mitten auf den Stufen schlief, konnte mir gerade noch ausweichen. Der musste man sowieso nichts erklären, die wusste ja immer alles vorher.
    Im Turm gab es keine Lücke mehr in der Ordnung der Messersammlung. Flint hatte das Messer mit dem blauen Griff zurück an seinen Platz gehängt. Ich hielt mich nicht damit auf, zu klopfen. Ich stürzte einfach in sein Arbeitszimmer. Er saß am Computer, einem neuen Computer ohneEinschussnarbe im Bildschirm. Und wie er erschrak, als die Tür aufflog! Vielleicht dachte er, der Weiße Ritter wäre doch noch einmal zurückgekommen.
    »Flint!«, rief ich.
    »Lasse«, sagte Flint. Ich sah, dass er mich gern in die Arme genommen hätte wie Frentje, doch er traute sich nicht. Das Letzte, was ich zu ihm gesagt hatte, war, dass er ein Lügner wäre. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich ja immer noch nicht wusste, wer auf der Lichtung begraben lag.
    »Ich habe dich gesucht«, sagte Flint. »Und ich habe Johann in die Schwarze Stadt geschickt, um dich ebenfalls zu suchen. Aber wir haben dich nicht gefunden.«
    »Ich weiß«, sagte ich und lächelte. »Almut hat mich gefunden.«
    Flint nickte. »Natürlich.«
    »Sie kommt erst zurück, wenn du mitgehst«, sagte ich gleich, ehe ich vielleicht vergaß, es zu erwähnen.
    »Wohin?«, fragte Flint. Er klang so verwirrt, dass er mir leidtat.
    Da setzte ich mich auf die Ecke des Computertischs und sah meinen Vater an. »Hör zu«, sagte ich. »Hör gut zu.« Und dann erzählte ich ihm alles, von Anfang an. Davon, wie ich Joern zum ersten Mal begegnet war und wie wir die Brücke gebaut hatten und wie Frentje gesagt hatte, wir sollten ihm besser nicht verraten, woher Joern wirklich kam. Und davon, wie schlecht alles in der Schwarzen Stadt war und dass die Chefs des Bergwerks nie etwas von Flints Geld weitergegeben hatten.

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