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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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daran.
    Schließlich kam die Dämmerung, der Regen ließ nach und ich saß noch immer auf dem Grabstein und wusste nicht, was ich tun sollte. Und dann, als es dunkel war, überkam mich eine plötzliche, nie gekannte Wut. Ich stürzte mich auf das Grab, zerrte die Kränze mit all ihren dummenSpruchbändern fort und begann die nasse Erde mit meinen bloßen Fingern aufzugraben.
    »Denkst du, du kannst dich einfach aus dem Staub machen?«, zischte ich. »Denkst du, du kannst mich einfach so alleinlassen mit all den Lügen? Denkst du das?«
    Es dauerte nicht lange, bis meine Finger auf etwas Kaltes, Glattes stießen. Die Urne. Ich hob sie aus dem frischen Grab und wischte die Erde vom Deckel. Im Licht der Straßenlaternen, das nun vom Friedhofstor drang, sah es tatsächlich so aus, als hätte jemand nachträglich ein Schraubgewinde und einen Deckel auf einer Vase angebracht. Ich brauchte eine Weile, bis ich den Schraubverschluss geöffnet hatte, doch schließlich gelang es mir.
    Vor mir im Laternenlicht lag Flints Asche, unberührt vom Regen der Schwarzen Stadt.
    Ich griff hinein und ließ sie durch meine Finger rieseln. Sie erinnerte mich an die Asche in unserem Kamin, mit weißen Stückchen darin vom Papier, das wir zum Anzünden verwendeten.
    Moment!, dachte ich. Ich grub tiefer und dann fand ich etwas Hartes. Zuerst erschrak ich, denn vielleicht war es ja ein Stück Knochen. Doch als ich das Ding hervorzog, fiel das Laternenlicht auf einen verbogenen Nagel. Genau so einen wie die Nägel, die sich in der Kaminasche fanden, wenn man alte Bretter verbrannte. Die Asche roch sogar wie Kaminasche.
    Es war Kaminasche.
    »Dies hier«, sagte ich langsam, »ist nicht Flint.«
    In dem Augenblick, in dem ich das sagte, trat jemand vor mir aus dem Schatten einer hohen Hecke. Ich ließ vor Schreck den Nagel fallen und sah auf. Es war eine kleine Gestalt mit wildem Haar und sie führte ein Pferd am Zügel, dessen Fell im Laternenlicht rötlich glänzte.
    »Natürlich ist es nicht Flint«, sagte Almut. »Wenn er wüsste, dass ich hier bin, hätte er sicher gesagt, ich sollte dich grüßen.«
    Als Almut und ich später durch das Friedhofstor traten, saß dort jemand auf der Mauer, die Beine angezogen, die Hände in den Jackenärmeln vergraben. Es war Joern. Er und Flop hatten die ganze Zeit auf mich gewartet. Flop sprang als Erstes von der Mauer herunter und hüpfte an Almut hoch. Ostwind tänzelte nervös zur Seite.
    Joern pflückte seinen Hund vom Boden und sah fragend von Almut zu mir und zurück.
    »Joern«, sagte ich. »Flint ist nicht tot.«
    Da fragte Joern vor lauter Verwirrung das Dümmste, was man fragen konnte: »Wie hast du dein Pferd durch das Loch in der Mauer bekommen, Almut?«
    Almut grinste. »Ich habe es heiß gewaschen, da wurde es kleiner«, sagte sie. »Und nach der Mauer hab ich es wieder kalt gewaschen.« Sie boxte ihn in die Seite. Man konnte fast meinen, sie freute sich mehr, Joern zu sehen als mich. »Nein, du Dummkopf, ich bin natürlich die Straße entlanggeritten bis zum Tor und dann außen herum um den ganzen Norderwald. Es ist verdammt weit, Stunden und Stundenund Stunden. Aber ich dachte, einer muss doch kommen und euch alles erklären, damit ihr es versteht!« Sie schüttelte sich. »Dies ist die kälteste und schaurigste Stadt, die ich mir vorstellen kann. Können wir irgendwohin reiten, wo es wärmer ist?«
    »Wir hätten eine überfüllte Küche zu bieten«, sagte Joern.
    »Leider wohnt dort ein Haufen Brüder, die sich dauernd streiten«, fügte ich fröhlich hinzu. »Aber es gibt heiße Suppe und unsere Mutter wird sich freuen, dich kennenzulernen.«
    » Unsere Mutter?«, fragte Almut.
    »Ja«, antwortete ich, »ich denke, einer muss dir wohl alles erklären, damit du es verstehst.«
    An diesem Abend standen zwei Pferde im Hinterhof und fraßen Gemüseabfälle. Drinnen zwischen den Dunstschwaden der Küche saß die ganze Familie, sie löffelten Suppe und lauschten Almuts Geschichte.
    »Flint, der alte Dickkopf«, sagte sie. »Er hat beschlossen zu sterben, um zu leben. Er liebt große Worte genauso wie sein Sohn Lasse hier. Nein, sag jetzt nicht schon wieder, dass du nicht sein Sohn bist. Es würde ihm das Herz brechen, wenn er es hören könnte. Er hat dich gesucht, Lasse. Er wollte dich finden, ehe er stirbt, aber er hatte nicht viel Zeit. Sie sollten alle denken, der Weiße Ritter wäre zurückgekommen und hätte es diesmal geschafft.«
    »Er will herausfinden, wer es war, nicht wahr?«,

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