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Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Rosenzweig
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hammer nu dreißg Schdeer rumkugln. Hädder mer beim Schdaubsaugn gholfn däder edz nu lebn.«

    Widerstand

    Nicht alle Röttenbacher wollten den neuen Lebensmittel-Frischemarkt. Allen voran Tatjana Rübensiehl. Die Rübensiehls waren vor fünf Jahren aus Lüdenscheid zugezogen. Wo die Stadt Lüdenscheid liegt, weiß in Röttenbach keine alte Sau. Irgendwo im Preußen-Land!
    Ehemann Hans-Dieter, ein blasser Strich in der Landschaft, mit randloser Nickelbrille, schütterem Haupthaar und O-Beinen, durch die man eine ganze Kompanie Navy Seals schicken könnte, ohne dass Hans-Dieter dies bemerken würde, arbeitete als Diplom-Physiker bei Siemens. Zu Hause konnte er keinen Nagel gerade in die Wand schlagen. Mit seinen einen Meter achtundneunzig radelte er auf seinem Titan-Fahrrad täglich zu seinem Arbeitsplatz. Egal, ob es regnete, schneite, hagelte oder die Sonne schien. Im Winter, wie im Sommer. Im Frühling wie im Herbst. Nach wenigen Tagen muffelten seine Klamotten, die er nur wochenweise wechselte, wie eine fünfköpfige Iltisfamilie.
    Seine Frau Tatjana wirkte neben ihm wie ein gestauchter Kugelblitz. Mehr als einen Meter achtundfünfzig hatte sie nicht an Höhe. Dafür ging sie mehr in die Breite. Dank ihres ausladenden Busens konnte sie ihre Schuhspitzen nur dann im Spiegel betrachten, wenn sie weit genug davon entfernt stand.
    Die Rübensiehls waren in der Gemeinde hinreichend als »Körnerfresser« bekannt. Kein Wunder also, dass sich Tatjana im Bund Naturschutz Röttenbach-Hemhofen engagierte und es bei der letzten Vorstandswahl bis an die Spitze gebracht hatte. Seitdem wollte sie tagtäglich die Welt verbessern. Als sie davon hörte, dass im Gewerbegebiet, gleich hinter der FORMA ein neuer Supermarkt errichtet werden soll – mitten im Winterquartier der bedrohten Knoblauchkröte – sah sie rot. Sofort lancierte sie eine Anzeige im Gemeindeblatt und rief zu einer Gegenoffensive auf. Für den Abend des fünften Mai hatte sie alle interessierten Bürger und Bürgerinnen in das Nebenzimmer der Gaststätte Fuchs eingeladen und zur Gründung der Gegenoffensive »Röttenbach 21« aufgerufen.
    Heute war es soweit. Fünfundzwanzig Gäste hatten sich eingefunden: Zwei Pressevertreter. Einer vom »Nordbayerisches Tageblatt«, einer vom »Fränkischen Tag«. Das Ehepaar Rübensiehl. Sieben Arbeitskollegen von Hans-Dieter, welche in den naheliegenden Ortschaften Neuhaus, Adelsdorf, Aisch, Heßdorf und Hannberg wohnten. Sechs Frauen – zusammen 618 Kilogramm - aus Tatjanas Weight-Watcher-Gruppe waren ebenfalls anwesend. Dann war da noch Johann Geldmacher, langjähriger Geschäftsleiter des FORMA-Supermarktes und sein Stellvertreter, Ambrosius Fuchs. Für Gerd-Dieter Stumpf, den stellvertretenden Vorsitzenden des Bund Naturschutz war es quasi eine Pflichtveranstaltung. Im Tiefsten seines Herzens war es ihm völlig egal, ob ein neuer Supermarkt gebaut wird, oder nicht. Die Knoblauchkröte war ihm im Prinzip auch egal – ein hässlicher Lurch.
    Vier Wolfenbütteler Übernachtungsgäste, die auf der Durchreise waren, gerieten eher zufällig in die Gründungsveranstaltung, da in den zwei anderen Gastzimmern kein freier Platz mehr verfügbar war.
    Den Abschluss bildete der alte, etwas spinnerte Jupp Hochleitner. Er war ständiger Gast bei allen öffentlichen Veranstaltungen in der Gemeinde. Ob der Kaninchenzuchtverein »Rüstiger Rammler« seine Jahreshauptversammlung abhielt, ob der KCR, der Karnevals Club Röttenbach, seine jährliche Weinfahrt nach Ipsheim veranstaltete oder der St. Mauritiuschor seine Sommerserenaden – Jupp Hochleitner war immer dabei. Er war Mitglied in fünfundzwanzig Vereinen, politischen Parteien, bei Stammtischen, oder sonstigen Bürgerinitiativen. Als er auch der örtlichen SPD beitreten wollte, wurde ihm die Mitgliedschaft verweigert, da er bereits langjähriges Mitglied des CSU-Ortsverbandes war. Die Roten und die Schwarzen verstanden sich so gut wie Hund und Katz. Jupp verstand seinerseits die Welt nicht mehr. »Dees aane had doch mid dem andern nix zu schaffn«, grummelte er, als sein Antrag abgelehnt wurde, »iech wolld doch bloß wegn eierm Schafkobfschdammdiesch beidredn. Brauchd iehr denn kann Brunzkardler?«
    Nachdem alle Anwesenden mit Getränken versorgt waren, erhob sich Tatjana Rübensiehl von ihrem Stuhl und trat in die Mitte des Raumes. Sie sah sich um und wartete bis die Unterhaltungen aufhörten und sie die ungeteilte Aufmerksamkeit aller hatte. Dann erhob sie ihre

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