Kein Augenblick zu früh (German Edition)
erwischen. Aber wir haben nie jemanden in einen Telepathen verwandelt. Das hat Stirling Enterprises nicht vor.« Er lachte kurz auf. »Wäre auch gar nicht möglich.«
Ich blickte auf. Neue Hoffnung keimte in mir auf. »Es wäre nicht möglich?«
»Na ja, rein theoretisch vielleicht schon.«
Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen, aber Dad merkte nichts und redete einfach weiter.
»Man müsste wahrscheinlich meine Untersuchungen einfach umkehren. Aber warum sollte man das tun? Wir versuchen doch, ein Heilmittel zu finden, Lila. Damit die Psy nicht noch Schlimmeres anrichten.«
Mein eigener Vater arbeitete daran, mich zu zerstören – und sich selbst. Denn sobald er Stirling Enterprises alles gegeben hatte, was sie haben wollten, würden sie ihn loswerden. Jack auch und mich, aber natürlich erst, nachdem sie ihre Versuche an mir durchgeführt hatten wie zuvor an Thomas und gerade jetzt an Mum. Es gab nur einen Grund, warum mich Richard Stirling nicht schon gefangen genommen und mit den Experimenten begonnen hatte: Er brauchte meinen Vater. Ich betrachtete ihn, wie er sorgenvoll dastand, und seufzte. Warum konnte er nicht einfach an der Krebsbekämpfung forschen?
Richard Stirling hielt Wort. Als wir aus dem Krankenhaus kamen, warteten drei Fahrzeuge auf uns. Unsere Schutztruppe war verdoppelt worden. Die Botschaft war unmissverständlich: Unmöglich, an Flucht oder Gegenwehr auch nur zu denken. Nur für den Fall, dass ich seine kaum verhüllten Drohungen noch immer nicht kapiert hatte. Die acht Männer mit ihren verspiegelten Sonnenbrillen sollten mir das jederzeit klar und deutlich vor Augen führen. Nur in einer Beziehung hatte er sich verrechnet: Ich reagierte allergisch darauf, wenn mir jemand vorschreiben wollte, was ich zu tun oder zu lassen hatte.
Dad nahm die Verdoppelung unserer Leibwache leicht verwundert zur Kenntnis. Wir wurden zu dem mittleren Fahrzeug geführt und fuhren ab, ein Wagen vor und einer hinter uns. Auf dem Beifahrersitz unseres Autos saß Jonas. Als er sich zu mir umdrehte, wich ich seinem Blick aus und starrte aus dem Fenster.
»Warum haben wir heute noch ein zweites Begleitfahrzeug?«, fragte Dad den Fahrer.
»Kein Anlass zur Sorge, Dr. Loveday. Aber wir nehmen Ihre Sicherheit sehr ernst. Und die Ihrer Tochter.«
Er starrte mich dabei im Innenrückspiegel an, aber ich konnte seine Augen hinter den spiegelnden Sonnenbrillengläsern nicht sehen. Unwillkürlich klammerte ich mich an den Türgriff. Wusste er, dass ich eine Psy war? Wenn es Richard Stirling bekannt war, dann wussten vermutlich auch seine Angestellten Bescheid. Bei dem Gedanken ging mein Atem schneller.
»Ach so«, murmelte mein Vater. Er blickte sich nervös um, als rechnete er damit, dass Demos jeden Augenblick zwischen den Büschen am Straßenrand hervorstürzen würde. Ich biss die Zähne zusammen, presste die Stirn gegen das kühle Glas und starrte auf die vorbeifliegenden Streifen der Mittellinie.
Vor Jacks Haus sprang Jonas sofort aus dem Wagen und öffnete mir die Tür. »Vergiss nicht, den Alarm zu aktivieren«, sagte er eifrig. »Ach, übrigens, wir haben auch hinter dem Haus Leute positioniert. Sie bewachen die Durchgänge auf beiden Seiten und die Gasse hinter dem Garten.«
Dafür erntete er einen sehr wütenden Blick von mir. Wollte er mich einschüchtern? Aber er wirkte ehrlich verwirrt über meine Reaktion. Immer noch wütend stürmte ich zum Hauseingang. Dort drehte ich mich um. Jonas saß im Auto und kaute auf der Unterlippe. Als sich unsere Blicke trafen, hellte sich sein Gesicht auf. Ich stockte; er konnte es nicht wissen, so viel war klar. Wenn er auch nur geahnt hätte, wer ich war – oder vielmehr: was ich war –, hätte er mich niemals so unbefangen zu einem Date einladen oder mir die Autotür öffnen können. Dazu war er viel zu leicht zu durchschauen. Und wenn er die Wahrheit nicht ahnte, dann kannten sie die anderen wahrscheinlich auch nicht. Zumindest hoffte ich das.
Im Haus ignorierte ich natürlich die Alarmanlage und marschierte direkt ins Wohnzimmer. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass die Autos der Einheit wie eine stählerne Barriere vor dem Haus geparkt waren. Ich zog die Vorhänge vor. Wie von selbst wurde mein Blick von dem Foto auf dem Bücherregal angezogen. Und wie immer, wenn ich das Bild meiner Mutter sah, legte sich etwas wie eine eiserne Klammer um mein Herz.
Neben ihrem stand das Foto, das Jack, Alex und mich als Kinder zeigte. Es war in einem Sommer
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