Kein Heldentod
würde, die Dinge beim Namen zu nennen, aber seine Frau beschwörte ihn mit einem flehenden Blick, die Endgültigkeit nicht mit Worten zu besiegeln. Der Hauptfeldwebel musste es selber tun.
"Er ist tot, ja. Mein Beileid."
Frau Freise schluchzte: "Nicht auch noch Dirk!"
Herr Freise, mit Tränen in den Augen, schaffte es, Kroeger zu erklären: "Dirks Eltern, also unsere Tochter und unser Schwiegersohn, sind vor achtzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen …"
"Ich weiß. Er hat mir erzählt, dass Sie ihn aufgezogen haben." sagte Kroeger.
Die Packung Papiertaschentücher, die zwischen Nagelklipsern, Kugelschreibern und einer Tüte mit Salmiakpastillen in einer Obstschale auf dem Tisch seit ein paar Wochen ungeöffnet in Erwartung der Heuschnupfensaison bereit gelegen hatte, leerte sich innerhalb weniger Minuten. Den traditionellen Rollenmustern folgend, versuchte Herr Freise, seine haltlos weinende Frau zu trösten, obwohl er selbst die Fassung nur schwer aufrecht halten konnte. Kroeger beobachtete, wie das stille Weinen des Mannes einen Tropfen Nasenschleim erzeugte, der in den Haaren seiner Frau landete, die ihren Kopf an die Brust des Gatten gepresst hatte; als sie ihre Nase putzte, sah Kroeger, dass das Hemd des Ehemannes von ihrem Rotz beschmiert war.
"Dirk sollte Urlaub bekommen und wollte uns heute Abend besuchen!" sagte Frau Freise.
"Auch das weiß ich - ich war der Meinung, es wäre besser; Sie jetzt zu informieren, bevor Sie tagelang in Ungewissheit leben…"
Kroeger rauchte zwei oder drei Zigaretten, bis das Ehepaar sich soweit beruhigt hatte, ihn zu fragen:
"Wie ist es passiert?"
Kroeger sah den Beiden abwechselnd in die geröteten Augen und sagte:
"Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ihr Enkel ist keinen Heldentod gestorben …"
*
"Ihrem Enkel war es nicht bewusst, aber er war bei seinen Kameraden nicht sehr beliebt. Ein etwas zu langer Blick unter der Dusche, eine Vorliebe für die falsche Sorte Musik … Dirk stand schnell im Verdacht, homosexuell zu sein. Nein, unterbrechen Sie mich nicht - vor Ihnen konnte er es vielleicht verbergen, aber in einer engen Gemeinschaft wie der des Militärs kommt so etwas schnell ans Licht.
Im zivilen Leben stößt sich ja kaum noch jemand an diesen Leuten, aber in der Bundeswehr möchte man keine Homosexuellen haben – das gilt natürlich für alle anderen Armeen dieser Welt ebenso. Sie verstehen: 'Ich kann nicht auf ihn schießen, er ist doch so schnuckelig' - das geht nun mal nicht!
Am Abend des 11. jedenfalls eskalierte die Missbilligung unter den Gefreiten. Ich war nicht dabei, man sagte mir später, Dirk hätte seine Hand auf die Schulter eines Kameraden gelegt. Der Trupp war wegen den kurz zuvor erfolgten Angriffen der Taliban etwas angespannt, die Nervosität entlud sich dann wohl. Ihr Enkel war nicht Manns genug, sich zur Wehr zu setzen und wurde überwältigt.
Gegen vier Uhr morgens kam einer der Gefreiten zu mir und gestand, was dann passierte: Gemeinschaftlich war man auf die Idee gekommen, Dirk aus dem Camp zu schaffen - dazu entwendete man sträflicher weise einen Geländewagen vom Typ Wolf, Eigentum der Bundeswehr; dafür werden sich die Männer noch zu verantworten haben. Etwa fünf Kilometer entfernt wurde Ihr Enkel an einen Stein gebunden, entkleidet. Der scherzhafte Tenor war wohl, dass man die Taliban besänftigen könne, wenn man sie mal was anderes ficken ließe als ihre Ziegen - natürlich teile ich diese Sicht- und Ausdrucksweise nicht, ich zitiere nur.
Leider standen die Beteiligten unter Alkoholeinfluss - es war ihr freier Abend, da machen die Jungs öfter mal einen drauf, im Dienst hätte ich das selbstverständlich niemals geduldet! Jedenfalls dauerte es etwa vier Stunden, bis der Stabsgefreite Dirk Freise wiedergefunden wurde. Wie Sie vielleicht wissen, kann es in diesen Klimazonen nachts außerordentlich kalt werden, das hatten die Kameraden in ihrem jugendlichen Leichtsinn vergessen. Ihr Enkel ist erfroren.
Die offizielle Untersuchung ist nicht abgeschlossen, aber es gibt Anzeichen dafür, dass noch ein sexueller Kontakt stattgefunden hat - Ihr Enkel ist also wenigstens so gestorben, wie er insgeheim gelebt hat, falls Sie das tröstet."
"Dirk war nicht schwul! Er hatte eine Freundin!" rief Gisela Freise.
"Tarnung? Selbsttäuschung? Kompensation? Wissen Sie denn, ob die beiden tatsächlich Geschlechtsverkehr hatten?"
"Nein, natürlich nicht …"
"Na, also. Sehen Sie, in meinem Beruf komme
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