Zombies auf dem Roten Platz
Der Kreml ist das Herz Moskaus, denn hier begann im 12. Jahrhundert die Geschichte der Stadt. 1147 gilt als Gründungsjahr Moskaus. Bis zum Jahre 1712 regierten hier auch die Zaren, bevor sie ihre Residenz nach Petersburg verlegten.
Erst 1917 zog Lenin mit der neuen Sowjet-Regierung wieder in den Kreml ein. Hinter den bis zu zwanzig Meter hohen und bis zu acht Meter dicken Mauern fallen seither alle wichtigen politischen Entscheidungen der Sowjetunion.
Der Kreml wird im Süden durch die Moskwa, im Westen durch den Alexander-Garten und im Osten durch den Roten Platz begrenzt. Dort befindet sich auch das Lenin-Mausoleum, vor dem zu jeder vollen Stunde die Wachablösung der Ehrenwache stattfindet. In der Grabkammer ruht der einbalsamierte Leichnam des Begründers der Sowjetunion.
Täglich bilden sich lange Menschenschlagen vor dem Eingang des Mausoleums. Russen, die aus den entlegendsten Winkeln des riesigen Landes kommen, wollen dem Mythos Lenin einen letzten Gruß erweisen. Auch Touristen aus dem übrigen Europa und aus Übersee reihen sich geduldig in die Schlange der Wartenden ein.
Es hatte nie große Schwierigkeiten gegeben. Höchstens im Sommer, wenn die Sonne zu heiß brannte, war es einigen übel geworden, manche wurden auch bewußtlos.
Aber diese Zwischenfälle waren relativ harmlos. Zudem gab es in der Nähe genügend Wachposten und Arzte.
Es lief also alles glatt. Bis zu einem Tag im März, an dem die Ruhe auf dem Roten Platz brutal gestört wurde und bei einigen hohen Funktionären das große Kopfzerbrechen begann.
Denn auch die Sowjets hatten ihre Zombies!
***
Der Winter hatte schon früh begonnen, war sehr hart gewesen, und aus dem Osten waren Kälte und Schnee gekommen. Im März jedoch begannen die ersten Bürger aufzuatmen. Ein Hauch von Frühling wehte an manchen Tagen über die Stadt, ließ die nahe Wärme ahnen und damit auch das Ende der kalten Jahreszeit.
Zwar trugen die Menschen nach wie vor ihre Pelzmützen und gefütterten Mäntel, aber über die sonst mürrisch verzogenen Gesichter glitt schon wieder das erste Lächeln, eine Hoffnung auf den kommenden Frühling und die blühenden Bäume im Kreml-Park.
Auch an diesem Mittwoch zeigte der Frühling seine Nähe. Es war wärmer geworden. Der Wind wehte aus südlicher Richtung hatte schon viel Schnee weggetaut und den Himmel von dicken, grauen Wolken blankgefegt.
Die Sonne traute sich nicht so recht, sie besaß keine Kraft, aber so mancher Strahl verirrte sich dennoch auf die Gesichter der Menschen und wurde zur Kenntnis genommen.
Auch von den Leuten, die auf dem Roten Platz in der langen Schlange standen und daraufwarteten, das Mausoleum betreten zu können. Männer, Frauen und Kinder hatten sich eingereiht. Sie warteten geduldig und vertrieben sich die Zeit mit mancherlei Spaßen oder auch mit Essen und Trinken.
Während die Kinder Tee bekamen, hielten sich die Männer an Wodka. So manche Flasche wurde geleert, und es gab auch unter den Besuchern einige aus dem Westen.
Die hatten sich ähnliche Warmmacher mitgebracht: Whisky und Cognac. Amerikanischer oder schottischer Whisky war bei den Russen sehr beliebt.
Zwei Amerikaner bildeten das Ende der Schlange, und sie verstanden sich mit den beiden vor ihnen stehenden Einheimischen prima. Die Männer stammten aus dem fernen Sibirien, und ihren Besuch in der Hauptstadt wollten sie mit der Besichtigung des Lenin-Mausoleums krönen.
Zuerst waren sie ziemlich schweigsam gewesen. Doch als sie sahen, daß die Amerikaner Whisky besaßen und auch amerikanische Zigaretten, drehten sie sich immer häufiger um.
Das merkten die beiden Männer aus den Staaten natürlich. Einer von ihnen sprach ein paar Brocken Russisch. Er bot den Soldaten zuerst eine Zigarette an.
»Hier, Towaritsch, nimm dir ein Stäbchen. Das ist besser als Machorka.«
Der junge Russe grinste und nickte. Er schaute seinen Freund an, der hob die Schultern, anschließend griffen beide zu. Es blieb nicht bei den Zigaretten, auch Whisky wurde getrunken, und Lenin geriet ein wenig in Vergessenheit.
Irgendwann fragte einer der Amerikaner: »Sollen wir uns den alten Knaben überhaupt noch ansehen?«
Obwohl die beiden russischen Soldaten schon leicht angetörnt waren, muckten sie auf. »Es ist unser letzter Tag hier. Wir haben versprochen, den Genossen Lenin zu sehen. Das Versprechen halten wir.«
»Ja, ja, schon gut…«
Die vier Männer standen noch immer als letzte in der Schlange, denn nach ihnen sollte Schluß sein. Die
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