Kopfgeldjagd
man könne seine Freunde aussuchen, aber nicht seinen Bruder.
Meine Eltern, die beide keine Universität besucht hatten, legten großen Wert auf Bildung, Kultiviertheit und ausgiebige Reisen. An meinem zwölften Geburtstag schenkte mir mein Vater Egon Cortis Buch Der Aufstieg des Hauses Rothschild , das ich innerhalb von zwei Tagen verschlang und immer behielt. Neckos eingefleischt katholische Familie fand es merkwürdig, dass ein Nichtjude an dieser Welt ein solches Interesse hatte, dass er sogar darin arbeiten wollte, denn für sie war es eine rein jüdische Welt. Und so führte mein nonkonformistisches Naturell dazu, dass ich mich fasziniert fragte: »Was machen die Juden, was wissen sie, wie kann ich es lernen?« Dieses Thema lag im wahrsten Sinne sehr nahe, denn die Rothschilds stammen aus dem jüdischen Bezirk Frankfurts. Ich sagte zu mir, falls ich mich entschied, Kinder zu haben – vorzugsweise Jungen –, dann würde ich sie in die ganze Welt schicken, um genauso ein bombastisches Finanzimperium aufzubauen, wie der Geldwechsler Mayer Amschel Rothschild um die Ecke.
Mein Vater sagte mir auch: »Je näher du dem Geld kommst, desto leichter ist es, an Geld zu kommen.« Diese grundlegende Lektion erschien mir äußerst logisch. Die erste Saat für eine Karriere in der Finanzwelt war erfolgreich gelegt. Bis dahin hatte ich in den harten Wintern Rehe mit Walnüssen gefüttert und im Frühjahr die Flüsse und Seen um Oberursel mit Bachforellen aufgefüllt, weil ich die Vorstellung hatte, Förster beziehungsweise Wildhüter zu werden. Dieser Berufswunsch verblasste schnell.
Was unseren sozialen Status anbetraf, gehörten wir zur oberen Mittelschicht, während die Neckermann-Seite zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite gehörte. Als Teil von Neckos Familienentourage wurden wir zu vielen High-Society-Anlässen eingeladen, bei denen ich zahllose Promis kennenlernte. Meine moralische Bildung war jedoch eher gering und defizitär, um nicht zu sagen machiavellistisch. Meine Mutter war eine notorische Fremdgängerin. Einer ihrer Liebhaber war nur zwei Jahre älter als ich. Einmal verbrachte ich ein nervenaufreibendes Wochenende mit ihr in meinem Londoner Haus, in dem sie auf seine Ankunft wartete. Er tauchte nie auf, und ich musste mehrere Tage lang den Psychiater spielen.
Meine Mutter war nicht in jeder Beziehung das Modell der perfekten Ehefrau. Uschis äußerst liberale Einstellung gegenüber ihrer eigenen sexuellen Erfüllung erklärt sich durch ihre Kindheit und Jugend. Ihre Eltern hatten eine offene Ehe geführt. Nach meiner Heirat spornte mich Uschi offen dazu an, vor meiner Frau mit anderen Frauen zu schlafen. Sie glaubte fest daran, dass ein wenig amouröse Abwechslung meiner Ehe und meinem Sexualleben guttun würde.
Mein Vater war nicht so sehr an Sex und Freundschaft interessiert, sondern wesentlich mehr an Reichtum und Status. Er war absolut skrupellos im Geschäft, genau wie Necko und ich. Er würde ohne mit der Wimper zu zucken einen Mitarbeiter feuern, der seit 20 Jahren bei der Firma war, wenn das seinen wirtschaftlichen Zielen zu diesem Zeitpunkt nutzte. Er sah keinerlei Nutzen darin, bei seinen Mitarbeitern beliebt zu sein. Er war gefürchtet. Das schien besser zu funktionieren. Er konnte brutal rational und erstaunlich kontrolliert, berechnend und fast völlig gefühllos sein.
Mir fällt dabei ein, dass über 90 Prozent meines Erfolgs im Eigenhandel und im Hedgefondsmanagement mit der Fähigkeit zusammenhängen, unproduktive Gefühle auszuschalten und mich ausschließlich auf rationale, faktenbasierte und auf den ersten Blick oft unlogisch erscheinende Analysen und Lösungen zu konzentrieren. Allerdings teilte ich nie die zynischen Ansichten meines Vaters. Ich glaube fest daran, dass gut bezahlte Mitarbeiter, die gut behandelt werden, produktiver sind. Außerdem sind herausragende Mitarbeiter fast nicht zu ersetzen. Die Kosten der Schulung und Einarbeitung sowie die Suche nach neuen qualifizierten Kräften ist üblicherweise äußerst frustrierend, zeitaufwendig und teuer. Das Beste ist, die Stars so lange wie möglich zu halten und dafür zu sorgen, dass sie zufrieden sind.
Üblicherweise traf mein Vater morgens um halb sieben Uhr auf dem Firmengelände ein und wies jeden scharf zurecht, der es wagte, weniger als 15 Minuten vor dem offiziellen Arbeitsbeginn um sieben Uhr aufzutauchen. Die meisten Mitarbeiter kamen ebenfalls um halb sieben. Eine zusätzliche halbe Stunde unvergüteter
Weitere Kostenlose Bücher