Krieg und Frieden
Czartorischski und Nowosilzew, Fürst Wolkonsky, Stroganow und andere reichgekleidete, fröhliche junge Leute mit prachtvollen frischen Pferden hielten hinter dem Kaiser und unterhielten sich lachend. Der Kaiser Franz, ein noch junger Mann, mit seinem roten langen Gesicht, saß außerordentlich gerade auf einem schönen Pferd und blickte sich unruhig und gespannt ringsum. Er rief einen seiner weißen Adjutanten und fragte ihn etwas. In der Suite des Kaisers waren auserlesene Ordonnanzoffiziere, russische und österreichische, von Garde- und Armeeregimentern. Wie durch ein geöffnetes Fenster plötzlich die frische Waldluft in ein schwüles Zimmer dringt, so wehte jetzt auch Kutusows Stab Jugend, Energie und Selbstvertrauen von dieser glänzenden Jugend entgegen.
»Warum fangen Sie nicht an, Kutusow?« fragte Kaiser Alexander rasch, während er sich höflich nach Kaiser Franz umsah.
»Ich warte, Majestät«, erwiderte Kutusow, sich ehrerbietig verneigend. Die Miene des Kaisers verfinsterte sich etwas, und er schien nicht verstanden zu haben.
»Ich warte, Majestät«, wiederholte Kutusow, »es sind noch nicht alle Kolonnen zur Stelle, Majestät.«
Fürst Andree bemerkte, daß Kutusows Oberlippe unnatürlich zuckte, während er dieses »Ich warte!« aussprach.
Diese Antwort schien dem Kaiser nicht zu gefallen. Er zuckte die Achseln, blickte Nowosilzew an, der neben ihm stand, als ob er sich über Kutusow bei ihm beklagen wollte.
»Aber wir sind jetzt nicht auf der Parade, Michail Ilarionowitsch, wo man nicht anfängt, ehe alle Regimenter da sind«, sagte der Kaiser.
»Darum eben fange ich nicht an, Majestät, weil wir nicht auf der Parade sind«, sagte er deutlich und bestimmt.
Die Herren der Suite blickten sich mißbilligend an.
Der Kaiser sah Kutusow durchdringend an und wartete, ob er nicht noch etwas sagen werde. Aber Kutusow senkte ehrerbietig den Kopf und schien auch zu warten. Das Warten dauerte fast eine Minute.
»Aber wenn Sie befehlen, Majestät«, sagte Kutusow, indem er den Kopf erhob und wieder den früheren Ton stumpfer Unterwürfigkeit annahm. Er setzte das Pferd in Bewegung, rief den Kommandeur der vierten Kolonne zu sich und erteilte ihm Befehl zum Angriff. Mehrere Bataillone marschierten am Kaiser vorbei. Miloradowitsch, ohne Mantel, mit Orden geschmückt und einer ungeheuren Feder auf dem Hut, grüßte den Kaiser und ließ sein Pferd vor ihm steigen.
»Mit Gott, General!« sagte der Kaiser.
»Majestät, wir werden alles tun, was möglich ist«, erwiderte Miloradowitsch. »Kinder!« rief er dann, »es ist nicht das erste Dorf, das ihr nehmt!« »Radi staratsa!« riefen die Soldaten. »Wir freuen uns, uns Mühe zu geben!« – die gewöhnliche Antwort der russischen Soldaten auf den Zuruf eines Vorgesetzten.
55
Kutusow ritt mit seinem Adjutanten im Schritt hinter dem Schweif der Kolonne und hielt an einem verfallenen Hause an einem Kreuzweg. Auf beiden Straßen gingen Truppen den Berg hinab. Der Nebel begann sich zu zerstreuen, und man konnte bereits in einer Entfernung von zwei Kilometern die feindlichen Truppen auf den gegenüberliegenden Anhöhen undeutlich erkennen. Links verstärkte sich das Gewehrfeuer. Kutusow hielt an und sprach mit einem österreichischen General. Fürst Andree erbat sich das Fernrohr von einem Adjutanten, welcher nicht nach den Truppen in der Ferne, sondern gerade vor sich den Berg hinabsah.
»Sehen Sie, da unten sind die Franzosen!«
Zwei Generale und Adjutanten griffen nach dem Fernrohr und entrissen es einander. Auf allen Gesichtern erschien plötzlich Entsetzen. Die Franzosen, die man zwei Kilometer entfernt glaubte, erschienen hier so plötzlich und unerwartet.
»Das ist der Feind! Sehen Sie doch!« Fürst Andree sah mit unbewaffnetem Auge unten rechts eine dichte Kolonne Franzosen, nicht weiter als fünfhundert Schritt vom Standpunkt Kutusows entfernt.
Aber in diesem Augenblick wurde alles in Rauch eingehüllt und ganz in der Nähe ertönte Gewehrfeuer. Eine Stimme sagte im naivem Schrecken, zwei Schritte von Fürst Andree entfernt: »Nun, Brüderchen, jetzt ist's aus!« Und als ob diese Stimme ein Kommando gewesen wäre, begannen alle zu fliehen. Ein wirrer Haufen, der sich immer mehr vergrößerte, floh zurück nach der Stelle, wo fünf Minuten zuvor die Truppen vor den Kaisern vorübergezogen waren. Es schien unmöglich, den Haufen anzuhalten, welcher alles mit sich riß. Neswizki rief außer sich Kutusow zu, wenn er nicht sogleich weiterreite, so
Weitere Kostenlose Bücher