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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hingehst, den Gegner so schnell als möglich abzutun, dann geht alles gut! Ein Bärenjäger aus dem Kostromaschen sagte mir einmal: ›Wie sollte man den Bären nicht fürchten? Sobald man ihn aber sieht, ist auch die Angst weg, solange er nicht davongeht.‹ Nun, so ist's auch mit mir. Auf morgen, mein Lieber!«
    Am andern Morgen um acht Uhr fuhr Peter mit Neswizki nach den Sperlingsbergen, wo sie Dolochow, Denissow und Rostow schon vorfanden. Peter sah aus wie ein Mensch, der an etwas ganz anderes als an das Bevorstehende denkt. Sein verschlafenes Gesicht war gelb, er schien die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und kniff die Augen zusammen, als ob ihm die Sonne zu hell scheine. Zwei Gedanken nahmen ihn ausschließlich in Anspruch, die Schuld seiner Frau, an der nach der schlaflosen Nacht nicht der geringste Zweifel übriggeblieben war, und die Unschuld Dolochows, der durchaus keine Ursache hatte, die Ehre eines ihm fremden Menschen zu hüten.
    »Vielleicht hätte ich an seiner Stelle ebenso gehandelt«, dachte Peter. »Das ist sogar wahrscheinlich. Wozu nun dieses Duell, dieser Mord? Entweder töte ich ihn, oder er trifft mich in den Kopf, in den Ellenbogen, in das Knie! Ich möchte fort von hier, mich irgendwo vergraben!« Aber gerade in diesem Augenblick, wo ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, fragte er mit besonders ruhigem und zerstreuten Aussehen, das den anderen Achtung einflößte: »Ist alles bereit?«
    In den Schnee gesteckte Säbel bezeichneten die Barrieren, bis zu welcher jeder vorgehen konnte. Als die Pistolen geladen waren, trat Neswizki auf Peter zu.
    »Ich würde meine Pflicht schlecht erfüllen, Graf, sagte er mit schüchterner Stimme, »und Ihr Vertrauen und die Ehre, die Sie mir erwiesen, indem Sie mich zu Ihrem Sekundanten wählten, nicht rechtfertigen, wenn ich in diesem wichtigen Augenblick Ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen würde. In bin der Meinung, daß die Sache keine Bedeutung hat und nicht wert ist, darum Blut zu vergießen. Sie hatten unrecht, Sie sind hitzig geworden ...«
    »Ach ja, die Geschichte ist schrecklich dumm«, sagte Peter.
    »Dann erlauben Sie mir, Ihr Bedauern auszusprechen, und ich bin überzeugt, daß unsere Gegner sogleich einwilligen werden, Ihre Entschuldigung anzunehmen«, sagte Neswizki, welcher wie die anderen Anwesenden und alle in ähnlichen Fällen nicht daran glaubte, daß es wirklich zum Duell kommen werde. »Sie wissen, Graf, es ist viel edler, einen Mißgriff einzugestehen, als die Sache zum Äußersten zu treiben. Von keiner Seite sind Beleidigungen gefallen, also erlauben Sie mir, darüber zu verhandeln!«
    »Nein, was ist da zu reden?« fragte Peter. »Es ist ganz gleichgültig! Also, fertig?« fragte er. »Sagen Sie mir nur, wohin ich zu gehen und zu schießen habe.« Mit einem unnatürlich milden Lächeln nahm er die Pistole in die Hand, fragte, wie man abdrücke, da er noch niemals eine Pistole in der Hand gehabt hatte, was er nicht eingestehen wollte.
    »Ach ja! Also so? Ich weiß! Ich hatte es nur vergessen.«
    »Keine Entschuldigung, entschieden nicht«, sagte Dolochow zu Denissow, welcher seinerseits auch Versuche zur Versöhnung machte. Dann trat er auch auf die bestimmte Stelle.
    Der Platz für das Duell war etwa achtzig Schritte vom Wege, auf welchem die Schlitten zurückblieben, gewählt worden. Auf einer kleinen Waldlichtung, welche mit halbaufgetautem Schnee bedeckt war, standen die Gegner etwa vierzig Schritt voneinander entfernt am Rande der Lichtung. Die Sekundanten maßen in dem feuchten, tiefen Schnee die Schritte ab, und Neswizki und Denissow steckten ihre Säbel zehn Schritte voneinander entfernt in den Schnee, um dadurch die Schranken anzudeuten. Das neblige Tauwetter dauerte fort, so daß auf vierzig Schritte nichts zu erkennen war. Nach drei Minuten waren sie fertig, zögerten aber immer noch, zu beginnen. Alle schwiegen.

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    »Nun, fangen wir an!« sagte Dolochow.
    »Meinetwegen«, sagte Peter, immer mit demselben Lächeln.
    Die Sache, welche so leicht begonnen hatte, war nicht mehr aufzuhalten, sie ging ihren Weg, unabhängig vom Willen der Menschen und das Schicksal mußte sich erfüllen. Denissow trat an die Barriere und rief: »Da die Gegner die Versöhnung zurückweisen, so können wir beginnen. Nehmen Sie die Pistolen und auf drei beginnen Sie vorzurücken!«
    »Eins! – Zwei! – Drei!« rief Denissow laut und trat zur Seite. Beide schritten einander näher und näher. Die Gegner hatten das Recht, bis zur

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