Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
Eins
Er schlief so fest, dass ihn nicht einmal Kanonendonner hätte aufwecken können. Das heißt, Kanonendonner zwar nicht, wohl aber das Klingeln des Telefons. Ein Mensch, der in unseren Tagen in einem zivilisierten Land wie dem unseren (haha!) sein Leben fristet, hält, wenn er mitten im Schlaf Geschützfeuer wahrnimmt, dieses mit Sicherheit für ein Gewitter, für Salven beim Fest des Schutzheiligen oder für Möbelrücken bei den netten jungen Leuten eine Etage höher und schläft wunderbar weiter. Doch das Läuten des Telefons, der Klingelton des Handys, die Türglocke, nein, die nicht, die sind allesamt Klänge von Lockrufen, bei denen der zivilisierte Mensch (haha!) gar nicht anders kann, als aus den Tiefen des Schlafs auf sie zu reagieren und zu antworten. Und folglich richtete Montalbano sich im Bett auf, sah auf die Uhr, blickte zum Fenster, begriff, dass es sehr heiß werden würde, und ging ins Esszimmer, wo das Telefon wie wild klingelte.
»Salvo, wo warst du denn? Seit einer halben Stunde versuche ich dich zu erreichen!«
»'tschuldige, Livia, ich war unter der Dusche und hab nichts gehört.« Erste Lüge des Tages.
Wieso hatte er gelogen? Weil er sich schämte, Livia zu sagen, dass er noch geschlafen hatte, oder weil er nicht wollte, dass sie sich Sorgen machte, wenn er ihr sagte, dass er von diesem Anruf aufgeweckt worden war? Wer weiß.
»Hast du dir die Villetta angesehen?«
»Also wirklich, Livia! Es ist doch gerade mal acht Uhr!«
»Tut mir leid, aber ich würde einfach so gern wissen, ob sie überhaupt in Frage kommt…«
Die Sache hatte vor zwei Wochen angefangen, als er sich genötigt sah, Livia mitzuteilen, dass er in der ersten Augusthälfte, anders als geplant, nicht von Vigàta wegkonnte, weil Mimi Augello wegen irgendwelcher Probleme, die bei seinen Schwiegereltern aufgetreten waren, seinen Urlaub früher nehmen musste. Das wirkte sich dann aber doch nicht so verheerend aus, wie er befürchtet hatte. Livia mochte Beba, Minus Frau, und auch Mimi selbst. Sie hatte zwar ein bisschen herumgequengelt, das schon, aber Montalbano war überzeugt, dass die Angelegenheit damit erledigt war. Doch er irrte sich, und zwar gründlich. Während des Telefongesprächs am folgenden Abend war Livia nämlich ganz unerwartet mit einem Plan herausgerückt.
»Such ganz schnell ein Haus, zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, direkt am Meer, irgendwo da in der Gegend.«
»Ich versteh nicht recht. Müssen wir etwa von Marinella wegziehen?«
»Wie dumm du dich doch anstellst, Salvo, wenn du den Dummen spielst! Ich hab von einem Haus für Laura, ihren Mann und ihr Kind geredet.«
Laura war Livias beste Freundin und engste Vertraute in allen Lebenslagen.
»Kommen sie her?«
»Ja. Hast du was dagegen?«
»Überhaupt nichts, du weißt doch, dass ich Laura und ihren Mann sympathisch finde, allerdings …«
»Erklär mir dieses »allerdings«.« Mein Gott, wieviel Aufhebens!
»Ich dachte nur, dass wir endlich mal ein bisschen mehr Zeit für uns allein haben würden und …«
»Hahaha!«
Ein Lachen wie das von der bösen Stiefmutter in »Schneewittchen und die sieben Zwerge«. »Und was soll jetzt dieses Lachen?«
»Weil du doch genau weißt, dass lediglich ich es bin, die hier Zeit für sich allein hat, verstehst du, während du dich den ganzen Tag und vielleicht auch noch die Nacht im Kommissariat hinter dem neuesten Mordfall verschanzt!«
»Ach, komm schon, Livia! Hier, im August, bei dieser Hitze, warten auch die Mörder ab, bis es Herbst wird.«
»Soll das ein Witz sein? Soll ich jetzt lachen?« Und so hatte die lange Suche nach einem Haus begonnen, unterstützt durch die wenig zielführende Hilfe von Catarella.
»Dottori, ich hätte da eine Wohnung gefunden, wie Sie eine suchen, im Ortsteil Pezzodipane.«
»Aber der Ortsteil Pezzodipane liegt doch zehn Kilometer vom Meer entfernt!«
»Das stimmt zwar, aber dafür gibt's da einen künstlichen See.«
Oder:
»Livia, ich hätte da eine wirklich hübsche kleine Wohnung in einer Art Wohnanlage, die liegt dort, wo …«
»Kleine Wohnung? Ich hatte doch ausdrücklich gesagt, ein Haus!«
»Ist eine kleine Wohnung denn nicht auch ein Haus? Und wenn nicht, was ist es denn dann? Etwa ein Zelt?«
»Nein, eine Wohnung ist kein Haus. Ihr Sizilianer stiftet ständig Verwirrung und nennt eine Wohnung Haus, während ich ein Haus meine, wenn ich Haus sage. Muss ich mich noch deutlicher ausdrücken? Du sollst eine Villetta für eine Familie suchen.«
In
Weitere Kostenlose Bücher