Kritik der praktischen Vernunft
sein moralischer Zustand, darin er jedesmal sein kann, ist Tugend , d.i. moralische Gesinnung im Kampfe , und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens. Es ist lauter moralische Schwärmerei und Steigerung des Eigendünkels, wozu man die Gemüter durch Aufmunterung zu Handlungen, als edler, erhabener und großmütiger stimmt, dadurch man sie in den Wahn versetzt, als wäre es nicht Pflicht, d.i. Achtung fürs Gesetz, dessen Joch (das gleichwohl, weil es uns Vernunft selbst auferlegt, sanft ist,) sie, wenn gleich ungern, tragen müßten , was den Bestimmungsgrund ihrer Handlungen ausmachte; und welches sie immer noch demütigt, indem sie es befolgen (ihm gehorchen ), sondern als ob jene Handlungen nicht aus Pflicht, sondern als barer Verdienst von ihnen erwartet würden. Denn nicht allein, daß sie durch Nachahmung solcher Taten, nämlich aus solchem Prinzip, nicht im mindesten dem Geiste des Gesetzes ein Genüge getan hätten, welcher in der dem Gesetze sich unterwerfenden Gesinnung, nicht in der Gesetzmäßigkeit der Handlung, (das Prinzip möge sein, welches auch wolle,) besteht, und die Triebfeder pathologisch (in der Sympathie oder auch Philautie), nicht moralisch (im Gesetze) setzen, so bringen sie auf diese Art eine windige, überfliegende, phantastische Denkungsart hervor, sich mit einer freiwilligen Gutartigkeit ihres Gemüts, das weder Sporns noch Zügel bedürfe, für welches gar nicht einmal ein Gebot nötig sei, zu schmeicheln, und darüber ihrer Schuldigkeit, an welche sie doch eher denken sollten, als an Verdienst, zu vergessen. Es lassen sich wohl Handlungen anderer, die mit großer Aufopferung, und zwar bloß um der Pflicht willen, geschehen sind, unter dem Namen edler und erhabener Taten preisen, und doch auch nur so fern Spuren da sind, welche vermuten lassen, daß sie ganz aus Achtung für seine Pflicht, nicht aus Herzensaufwallungen geschehen sind. Will man jemandem aber sie als Beispiele der Nachfolge vorstellen, so muß durchaus die Achtung für Pflicht (als das einzige echte, moralische Gefühl) zur Triebfeder gebraucht werden: diese ernste, heilige Vorschrift, die es nicht unserer eitelen Selbstliebe überläßt, mit pathologischen Antrieben (so fern sie der Moralität analogisch sind) zu tändeln, und uns auf verdienstlichen Wert was zu Gute zu tun. Wenn wir nur wohl nachsuchen, so werden wir zu allen Handlungen, die anpreisungswürdig sind, schon ein Gesetz der Pflicht finden, welches gebietet und nicht auf unser Belieben ankommen läßt, was unserem Hange gefällig sein möchte. Das ist die einzige Darstellungsart, welche die Seele moralisch bildet, weil sie allein fester und genau bestimmter Grundsätze fähig ist.
Wenn Schwärmerei in der allergemeinsten Bedeutung eine nach Grundsätzen unternommene Überschreitung der Grenzen der menschlichen Vernunft ist, so ist moralische Schwärmerei diese Überschreitung der Grenzen, die die praktische reine Vernunft der Menschheit setzt, dadurch sie verbietet den subjektiven Bestimmungsgrund pflichtmäßiger Handlungen, d.i. die moralische Triebfeder derselben, irgend worin anders, als im Gesetze selbst, und die Gesinnung, die dadurch in die Maximen gebracht wird, irgend anderwärts, als in der Achtung für dies Gesetz, zu setzen, mithin den alle Arroganz sowohl als eitele Philautie niederschlagenden Gedanken von Pflicht zum obersten Lebensprinzip aller Moralität im Menschen zu machen gebietet.
Wenn dem also ist, so haben nicht allein Romanschreiber, oder empfindelnde Erzieher (ob sie gleich noch so sehr wider Empfindelei eifern), sondern bisweilen selbst Philosophen, ja die strengsten unter allen, die Stoiker, moralische Schwärmerei , statt nüchterner, aber weiser Disziplin der Sitten, eingeführt, wenn gleich die Schwärmerei der letzteren mehr heroisch, der ersteren von schaler und schmelzender Beschaffenheit war, und man kann es, ohne zu heucheln, der moralischen Lehre des Evangelii mit aller Wahrheit nachsagen: daß es zuerst, durch die Reinigkeit des moralischen Prinzips, zugleich aber durch die Angemessenheit desselben mit den Schranken endlicher Wesen, alles Wohlverhalten des Menschen der Zucht einer ihnen vor Augen gelegten Pflicht, die sie nicht unter moralischen geträumten Vollkommenheiten schwärmen läßt, unterworfen und dem Eigendünkel sowohl als der Eigenliebe, die beide gerne ihre Grenzen verkennen, Schranken der Demut (d.i. der Selbsterkenntnis) gesetzt habe.
Pflicht ! du
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