Kritik der praktischen Vernunft
werden sie, in Ermangelung einer warnenden Kritik, jederzeit gehalten), der aber niemals als trüglich bemerkt werden würde, wenn er sich nicht durch einen Widerstreit der Vernunft mit sich selbst, in der Anwendung ihres Grundsatzes, das Unbedingte zu allem Bedingten vorauszusetzen, auf Erscheinungen, selbst verriete. Hierdurch wird aber die Vernunft genötigt, diesem Scheine nachzuspüren, woraus er entspringe, und wie er gehoben werden könne, welches nicht anders, als durch eine vollständige Kritik des ganzen reinen Vernunftvermögens, geschehen kann; so daß die Antinomie der reinen Vernunft, die in ihrer Dialektik offenbar wird, in der Tat die wohltätigste Verirrung ist, in die die menschliche Vernunft je hat geraten können, indem sie uns zuletzt antreibt, den Schlüssel zu suchen, aus diesem Labyrinthe herauszukommen, der, wenn er gefunden worden, noch das entdeckt, was man nicht suchte und doch bedarf, nämlich eine Aussicht in eine höhere, unveränderliche Ordnung der Dinge, in der wir schon jetzt sind, und in der unser Dasein der höchsten Vernunftbestimmung gemäß fortzusetzen, wir durch bestimmte Vorschriften nunmehr angewiesen werden können.
Wie im spekulativen Gebrauche der reinen Vernunft jene natürliche Dialektik aufzulösen, und der Irrtum, aus einem übrigens natürlichen Scheine, zu verhüten sei, kann man in der Kritik jenes Vermögens ausführlich antreffen. Aber der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche geht es um nichts besser. Sie sucht, als reine praktische Vernunft, zu dem Praktisch-Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfnis beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden, die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft, unter dem Namen des höchsten Guts .
Diese Idee praktisch, d.i. für die Maxime unseres vernünftigen Verhaltens, hinreichend zu bestimmen, ist die Weisheitslehre , und diese wiederum als Wissenschaft , ist Philosophie , in der Bedeutung, wie die Alten das Wort verstanden, bei denen sie eine Anweisung zu dem Begriffe war, worin das höchste Gut zu setzen, und zum Verhalten, durch welches es zu erwerben sei. Es wäre gut, wenn wir dieses Wort bei seiner alten Bedeutung ließen, als eine Lehre vom höchsten Gut , so fern die Vernunft bestrebt ist, es darin zur Wissenschaft zu bringen. Denn einesteils würde die angehängte einschränkende Bedingung dem griechischen Ausdrucke (welcher Liebe zur Weisheit bedeutet) angemessen und doch zugleich hinreichend sein, die Liebe zur Wissenschaft , mithin aller spekulativen Erkenntnis der Vernunft, so fern sie ihr, sowohl zu jenem Begriffe, als auch dem praktischen Bestimmungsgrunde dienlich ist, unter dem Namen der Philosophie, mit zu befassen, und doch den Hauptzweck, um dessentwillen sie allein Weisheitslehre genannt werden kann, nicht aus den Augen verlieren lassen. Anderen Teils würde es auch nicht übel sein, den Eigendünkel desjenigen, der es wagte sich den Titel eines Philosophen selbst anzumaßen, abzuschrecken, wenn man ihm schon durch die Definition den Maßstab der Selbstschätzung vorhielte, der seine Ansprüche sehr herabstimmen wird; denn ein Weisheitslehrer zu sein, möchte wohl etwas mehr, als einen Schüler bedeuten, der noch immer nicht weit genug gekommen ist, um sich selbst, vielweniger um andere, mit sicherer Erwartung eines so hohen Zwecks, zu leiten; es würde einen Meister in Kenntnis der Weisheit bedeuten, welches mehr sagen will, als ein bescheidener Mann sich selber anmaßen wird, und Philosophie würde, so wie die Weisheit, selbst noch immer ein Ideal bleiben, welches objektiv in der Vernunft allein vollständig vorgestellt wird, subjektiv aber, für die Person, nur das Ziel seiner unaufhörlichen Bestrebung ist, und in dessen Besitz, unter dem angemaßten Namen eines Philosophen, zu sein, nur der vorzugeben berechtigt ist, der auch die unfehlbare Wirkung derselben (in Beherrschung seiner selbst, und dem ungezweifelten Interesse, das er vorzüglich am allgemeinen Guten nimmt) an seiner Person, als Beispiele, aufstellen kann, welches die Alten auch forderten, um jenen Ehrennamen verdienen zu können.
In Ansehung der Dialektik der reinen praktischen Vernunft, im Punkte der Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gute , (welche, wenn ihre Auflösung gelingt, eben sowohl, als die der theoretischen, die wohltätigste Wirkung erwarten läßt, dadurch daß die aufrichtig
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